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Mağden, Perihan: Zwei Mädchen: Istanbul-Story

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
Roman
Aus dem Türkischen von Johannes Neuner
Taschenbuch: Suhrkamp, 2008
Inhalt:

Behiye ist rebellisch, wütend, intelligent und unglücklich – auch wenn sie letzteres niemandem anvertrauen würde, ihrer überängstlichen Mutter nicht und schon gar nicht dem herrischen Bruder, der sie am liebsten in einer untergeordneten Frauenrolle sähe. Bis die 16jährige auf Handan trifft, die Schöne, die Strahlende, die Süße (Pressetext)

Kurzkritik:

Die ständige Bewegung zwischen Nähe und Distanz zu den Protagonistinnen macht diesen Roman zu etwas Besonderem. Und dass die Autorin dieses ansteckende Erinnerungs- und/oder Einfühlungsvermögen aufgebracht hat, macht ihn nicht noch besser, ist für mich aber zusätzlich bewundernswert.

Besprechung:

Auf Messers Schneide

Unwissenheit ergibt manchmal interessante Perspektiven: Zum Beispiel dachte ich, dass die Autorin dieses Romans eine junge Frau ist, welche ihre Pubertät zu Literatur gemacht hat. Denn auch, wenn ich Mädchen beim Erwachsenwerden sozusagen nur von der anderen Seite kennengelernt habe, so vermittelt Perihan Mağden in “Zwei Mädchen: Istanbul-Story” doch diese Gefühl der Überforderung, plötzlich Zentrum des Universums zu sein, und die Selbstverständlichkeit, mit der man dieses Universum in Besitz nimmt.

Buben drücken die Wut und die Verzweiflung, welche ihnen diese explosive Mischung beschert, gewiss anders aus, suchen sich also – zumindest in unseren Breiten – keinen “Busenfreund”, aber sie können bestimmt in die Wohnung eines Freundes einziehen und nicht verstehen, wieso sich ihre Eltern Sorgen machen und wieso einen die Wohnungsbesitzer dort nicht wirklich haben wollen.

Baby spielen, entjunfern lassen

Genauso ergeht es der resoluten, manipulativen und auch hausfraulichen Behiye, welche sich bei der schönen Handan einquartiert, welche sich naiver gibt, als sie ist, und einerseits immer noch Muttis Baby “spielt”, sich aber andererseits auch sehr cool entjungfern lässt. Behiye wiederum beklaut ihre Mutter und ihren Bruder, zieht ohne zu fragen bei Handan ein und träumt davon, mit dieser auf einen anderen Kontinent zu flüchten, bis Handans Mutter dahinterkommt, dass sich ihre Tochter wegen Behiye von einem Hochschul-Vorbereitungskurs abgemeldet hat, und Behiye aus der Wohnung wirft.

Riesige Minidramen

19 Tage dauert diese amitié fou zweier 16-Jähriger, 19 Tage, in denen vor allem Behiye ununterbrochen auf Messers Schneide balanciert, in denen viele Treuschwüre geleistet und Tränen vergossen werden, in denen Mağden einige der riesigen Minidramen zusammendrängt, welche Pubertierende und ihre Freunde, aber auch ihre Verwandten erleben.

Wie hat Mağden nur diese Distanz aufbringen können, habe ich mich gefragt, – und festgestellt, dass die Autorin sogar ein bisschen älter ist als ich. Bitte mich da jetzt nicht falsch zu verstehen: Der Roman ist großartig, wer auch immer ihn geschrieben hat. Die ständige Bewegung zwischen Nähe und Distanz zu den Protagonistinnen macht ihn zu etwas Besonderem. Und dass die Autorin dieses ansteckende Erinnerungs- und/oder Einfühlungsvermögen aufgebracht hat, macht ihn nicht noch besser, ist für mich aber zusätzlich bewundernswert.

Von Werner Schuster
Infos:

Über Perihan Mağden [5] bei Suhrkamp.