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Kapuściński, Ryszard: König der Könige

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
Reportage
Aus dem Polnischen von Martin Pollack
Hardcover: Eichborn, 1995
Taschenbuch: Piper, 2009
(1978)
Inhalt:

Aus Gesprächen formt der polnische Journalist Ryszard Kapuściński ein schillerndes Porträt des legendären »Königs der Könige«, Haile Selassie, Negus Negesti von Äthiopien. Nach dessen Sturz 1974 fügt sich aus der Sicht ehemaliger Diener, Hofschranzen, Notabeln und Spitzel ein Bild des absoluten afrikanischen Monarchen. Entstanden ist dabei zugleich eine glänzende, zeitlose Parabel auf totalitäre Systeme und imperiale Machtausübung. (Pressetext)

Kurzkritik:

Vieles in diesem – sowohl journalistischen als auch literarischen – Buch mutet absurd an, doch wer schon einmal unter einem Despoten gearbeitet hat, wird bei sich und ihm einiges wiedererkennen – wenn auch vielleicht nicht in solch monströser Form wie in Kapuściński Reportage.

Besprechung:

Der Lakai der dritten Tür

An den Abenden hörte ich denen zu, die den Hof des Kaisers gekannt hatten.

Mit dieser harmlos anmutenden Aussage beginnt Ryszard Kapuściński sein Buch über Haile Selassie und er hat nicht mehr und nicht weniger getan als zuzuhören. In “König der Könige” beschreibt er das Phänomen “Macht” nicht über Helden-Verehrung oder -Kritik, sondern aus der Perspektive der Insider, der Würdenträger, Spitzel und Helfershelfer, die voller Angst und Stolz einem absoluten Herrscher gedient haben.

Als Lakai der dritten Tür war ich der wichtigste Türsteher im Audienzsaal. … die Kunst bestand darin, die Tür im passenden Moment zu öffnen, genau zum richtigen Zeitpunkt. Würde ich die Tür … zu spät öffnen, könnte der ehrwürdige Herr genötigt werden, seine Schritte zu verlangsamen oder gar anzuhalten – das aber hätte seine herrschaftliche Würde geschmälert.

Vieles in diesem – sowohl journalistischen als auch literarischen – Buch mutet absurd an, doch wer schon einmal unter einem Despoten gearbeitet hat, wird bei sich und ihm einiges wiedererkennen – wenn auch vielleicht nicht in solch monströser Form wie in Kapuściński Buch:

… und die Säuberung dauerte fort, und uns alte Beamte des Palastes überfiel jeden Tag, wenn wir hinter unseren Schreibtischen die Stunde der Ernennung – und daher auch Absetzung – erwartetem, ein großes Zittern.

Nach dem Militärputsch im Jahr 1974 wird der “König der Könige” “aufgefordert, alles Geld abzuliefern, das er sich im Verlauf von fünfzig Jahren … angeeignet” hatte. Nachdem man unter dem Teppich in seinem Arbeitszimmer eine dicke Schicht von Dollarbündeln gefunden hat, versteckt Haile Selassie seine Barschaft in den Büchern seiner Bibliothek. Und man will auch das Geld von Selassies Schweizer und englischen Banken.

Aber das kennt man alles zur Genüge. Was man indes selten so plastisch vor Augen geführt bekommt wie in Kapuścińskis Buch, ist, wie Macht und Unterdrückung funktioniert.

Im Nachwort meint Kapuściński (im Jahr 1994) zu Recht:

Es gibt allerdings einige Gegenden auf der Welt, wo es nach wie vor nicht erscheinen kann. Dazu gehören die meisten arabischen Länder, Cuba, Nordkorea und der Iran. Auch eine Milliarde Chinesen sind bisher von dem verderblichen Einfluss, den mein Buch vielleicht auf sie ausüben könnte, verschont geblieben, und ich glaube kaum, dass das ein Zufall ist.

Von Werner Schuster
Infos:

Ryszard Kapuściński, geboren 1932 in der ostpolnischen Stadt Pinsk, gestorben 2007 in Warschau, wurde in den Fünfzigerjahren als Korrespondent nach Asien und in den Mittleren Osten, später auch nach Lateinamerika und nach Afrika entsandt. Er zählte zu den großen Journalisten seiner Zeit, seine Reportagen aus der Dritten Welt sind weltberühmt. 1994 war er der erste Preisträger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung, 1999 wurde er in Polen zum »Journalisten des Jahrhunderts« ernannt, 2004 erhielt er in Wien den »Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch« des Jahres 2003.

Über Ryszard Kapuściński [5] und Haile Selassie [6] bei Wikipedia.