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Drach, Albert: Untersuchung an Mädeln

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
Roman
dtv, Zsolnay
(1971)
Inhalt:

Albert Drachs vielleicht “bösestem” Roman liegt ein realer Mordfall aus dem Österreich der Nachkriegszeit zugrunde. Zwei junge Frauen, Anhalterinnen, werden beschuldigt, einen Mann erschlagen zu haben, der zuvor versuchte, sie zu vergewaltigen. In Szenen von teilweise grotesker Komik zeigt Drach den Kontrast zwischen der bürokratischen Engstirnigkeit der Justiz und der naiven Unbekümmertheit der Mädchen. (Pressetext)

Kurzkritik:

Es kommt nicht darauf an, “ob der Mord wirklich geschehen ist. Es genügt, daß er angenommen wird. Und das Gericht hat nicht zu suchen, ob irgendwo ein Zweifel vorhanden ist. Es hat den Zweifel aus der Welt zu schaffen, indem es urteilt.”

Besprechung:

Schlechter Lebenswandel

Es soll Wind gegeben haben, und diese Versicherung erscheint glaubhaft, wenn festgehalten wird, daß die Röcke, nämlich die unteren äußeren Kleidungsstücke der Weibspersonen, in Bewegung gerieten und die Anschauung der dann noch dürftiger bedeckten Oberschenkel zuließen, so daß sich Männer veranlaßt fühlten, ihre Kraftwagen anzuhalten und auf das Angebot der beiden, an der noch unvollendeten Autobahn wartenden sogenannten Mädel einzugehen, indem diesen zur Mitfahrt die Wagentüren geöffnet wurden.

Meines Wissens hat sich kein anderer Schriftsteller des “Protokollstil” so konsequent bedient wie österreichische Jurist Albert Drach, der zumindest seine bekanntesten Werke mit nüchterner Distanz und unter Verwendung des Konjunktivs und der indirekten Rede schrieb.

Zweifel aus der Welt schaffen

“Untersuchung an Mädeln” ist ein Gerichtsroman. Zwei junge Frauen geraten in die Mühlen der von Männern dominierten Justiz; sie werden beschuldigt, einen Mann erschlagen zu haben, der sie zuvor vergewaltigen hatte. Tatsächlich haben sie ihn niedergeschlagen und sind mit seinem Auto geflüchtet; von dem Mann fehlt jedoch seither jede Spur.

Es gibt keine Zeugen und keine Indizien, der “schlechte” Lebenswandel der Verdächtigen reicht aus, dass sie zu Mörderinnen gestempelt werden. Schließlich kommt es nicht darauf an, “ob der Mord wirklich geschehen ist. Es genügt, daß er angenommen wird. Und das Gericht hat nicht zu suchen, ob irgendwo ein Zweifel vorhanden ist. Es hat den Zweifel aus der Welt zu schaffen, indem es urteilt.”

Von Werner Schuster
Infos:

Albert Drach, geboren 1902 in Mödling, Rechtsanwalt und Sohn eines jüdischen Mathematikprofessors, studierte Jura und promovierte 1926. Er arbeitete als Rechtsanwalt, emigrierte 1938 über Paris nach Nizza und entging mit Mühe der Auslieferung. 1947 kehrte er in sein Elternhaus in Mödling bei Wien zurück, wo er bis zu seinem Tod 1995 lebte.
Er galt stets als außenseiterische Figur im Literaturbetrieb. Sein Roman “Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum” (1964), zugleich erster Band einer Werkausgabe, trug dem Autor endlich die Anerkennung ein, die ihm in den Dreißigerjahren verwehrt geblieben war. Vor allem durch seine Romane, deren Sprache das umständliche Amtsdeutsch der Kanzleien und Gerichte parodiert, gelangte er zu internationalem Ansehen. 1988, mit der Zuerkennung des Büchner-Preises nach der Veröffentlichung seines Exilberichts “Die unsentimentale Reise”, setzte seine endgültige Rehabilitation in der (literarischen) Öffentlichkeit ein. 1993 erhielt er den Grillparzer-Preis.

Über Albert Drach [5] bei Wikipedia.