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Spark, Muriel: Die Blütezeit der Miss Jean Brodie (Rezension)

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Cover Bluetezeit BrodieRoman
Aus dem Englischen von Peter Naujack
Diogenes, 1961
Inhalt:

Miss Brodie, eine Lehrerin in den besten Jahren, benutzt fünf junge Mädchen dazu, sich ihre politischen, ästhetischen und auch erotischen Wünsche zu erfüllen. Nur Sandy, das Mädchen mit den kleinen Augen, durchschaut Miss Brodie. Sie versteht, dass Miss Brodie wie die Vorsehung die Geschicke der Menschen lenkt und glaubt, sie sei Gott und sehe das Ende. (Pressetext)

Kurzkritik:

Die 2006 verstorbene Muriel Spark hatte einen eigentümlichen Stil: Ihre “typisch britisch” trocken geschriebenen Romane erwecken oft den Eindruck, sie wären chaotisch (oder nur sehr vage konstruiert), und man könnte spekulieren, ob Spark eine Herrin des Chaos oder eine Meisterin des subtilen Aufbaus gewesen ist.

Besprechung:

Zum Inhalt von „Die Blütezeit der Miss Jean Brodie“ [5]

Eigenwillig wie das Leben

Die 2006 verstorbene Muriel Spark hatte einen eigentümlichen Stil: Ihre “typisch britisch” trocken geschriebenen Romane erwecken oft den Eindruck, sie wären chaotisch (oder nur sehr vage konstruiert), und man könnte spekulieren, ob Spark eine Herrin des Chaos oder eine Meisterin des subtilen Aufbaus gewesen ist.

Nehmen wir zum Beispiel “Die Blütezeit der Miss Jean Brodie”. Da wird ständig zwischen den Jahren hin und hergesprungen, andauernd wiederholt Spark die typischen Eigenschaften der fünf Mädchen, die von ihrer Lehrerin Jean Brodie unter die Fittiche genommen werden, manchmal kann man das Wort “Blütezeit” schon nicht mehr hören (respektive lesen), da wird scheinbar völlig nebensächlichen Szenen großer Raum gelassen, während die wichtigen Ereignisse gerade mal erwähnt werden. – Das ist ein bisschen so wie das Leben selbst, nicht?

Eigenwillige Lehrerin

Jedenfalls ist Miss Brodie eine eigenwillige Lehrerin, die sich überhaupt nicht an den Lehrplan hält, weil sie ihre Schülerinnen erziehen will, denn “Edukation” bedeutet schließlich Hinausführen und nicht, Kenntnisse in Menschen hineinzupressen, und Miss Brodie will Werte vermitteln. Dabei lässt sie die Schülerinnen an ihrer eigenen Entwicklung teilhaben, die neben der Begeisterung für Kunst, Anstand und verschiedene Religionen auch eine für den Faschismus beinhaltet.

“Es war nicht einfach gewesen, Miss Brodie gleichzeitig in ungünstigem wie in günstigem Licht erscheinen zu lassen,” schreibt Spark, und so verfährt sie mit allen ihren Figuren, von denen keine nicht ambivalent ist. – Ein bisschen so wie im Leben, oder?

Lieblingsschülerinnen

Dieses Buch wirkt, auch wenn da in den 60er-Jahren die 30er beschrieben wurden, seltsam zeitgemäß – wie die Bilder, die Mr. Teddy Llloyd von Miss Brodies Lieblingsschülerinnen malt und die immer auch Miss Brodie darstellen – und es ist vielschichtig: Es handelt davon, welche von den fünf Schülerinnen Miss Brodie verraten hat, sodass diese ihren Job verlor. Es handelt von der Entwicklung von fünf Mädchen zu jungen Frauen. Es handelt davon, dass hinter der altjüngferlichen Anstandsdame Brodie eine begehrenswerte und begehrende Frau zum Vorschein kommt, welche dies – auch in ihrer Blütezeit – nur indirekt ausleben kann, also über einen Ersatzmann (denn “die große Liebe” Mr. Lloyd ist verheiratet und man lebt in einer Kleinstadt) und über ihre Lieblingsmädchen, von denen sie eine als Sexpartnerin ihres unerreichbaren Geliebten auserwählt.

Diejenige, welche hinter diesen Ge- oder Missbrauch kommt, wird dann auch zur Verräterin, aber zu einer, der man dafür nicht böse sein kann, so wie man Miss Brodie ihre politische Gesinnung nachsieht. Schließlich lässt die Katholikin Spark ja auch eines der Mädchen der Katholischen Kirche beitreten, in deren Reihen sie eine ziemliche Anzahl von Faschisten antraf, die viel weniger angenehm waren als Miss Brodie.

Zu verurteilen war Muriel Sparks Sache also nicht. Nicht nur deshalb hat sie – im naiv wirkenden, sezierenden Stil ihrer scheinbar chaotischen Romane – das Menschliche nicht nur eingefangen, sondern wiedergebenen.

Zum Inhalt von „Die Blütezeit der Miss Jean Brodie“ [5]

Von Werner Schuster
Infos:

Muriel Spark, geboren 1918 in Edinburgh, ist Autorin von Romanen, Theaterstücken, Kinderbüchern und Gedichten. Sie war Herausgeberin der “Poetry Review” und Mitarbeiterin des “New Yorker”. 1992 wurde sie für ihr Werk mit dem T.S.-Eliot-Preis für kreatives Schreiben ausgezeichnet, 1997 erhielt sie den David Cohen British Literature Prize, 1999 den Ehrendoktortitel für Literatur der Oxford University.

Über Muriel Spark [6] bei Wikipedia.