- Literaturmagazin Eselsohren –  - https://www.eselsohren.at -

Nadolny, Sten: Die Entdeckung der Langsamkeit

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
Roman
Piper (1983 ff.)
Inhalt:

Seit seiner Kindheit träumt John Franklin davon, zur See zu fahren, obwohl er dafür denkbar ungeeignet ist, denn in allem, was er tut, ist er extrem langsam. Doch was er einmal erfaßt hat, vergißt er nicht mehr. Er geht zur Marine und erlebt den Krieg. Insgeheim aber träumt er von friedlichen Fahrten auf See und von der Entdeckung der legendären Nordwestpassage. Als Kommandant eines Schiffes begibt er sich auf die Suche … Sten Nadolnys vielfach preisgekrönter Bestseller über den englischen Nordpolfahrer John Franklin: eine Studie über die Kunst der Langsamkeit, die dem Rhythmus des Lebens Sinn gibt. (Pressetext)

Kurzkritik:

Wahrscheinlich entdeckt man in der “Entdeckung” immer wieder neue, andere Aspekte, je nachdem, in welchem Alter oder Zustand man dieses herrliche, in knappen Sätzen geschriebene Buch liest. Und das ist das Schöne an großer Kunst: Sie scheint für jede/n einzelne/n und für jedes Alter speziell geschaffen zu sein.

Besprechung:

Speziell für jede/n

Bei diesem Buch weiß ich sogar noch, wo ich es 1983 gekauft habe: Es lag in einer Buchhandlung in Basel, der Titel hat mich fasziniert und nach kurzem Durchblättern glaubte ich zu wissen, ein Werk für mich gefunden zu haben.

Mein Instinkt hat mich damals nicht getäuscht: Es enthielt, für einen 21-jährigen, die Botschaft “du erreichst nur etwas, wenn du genau so bist, wie du bist”. Denn schließlich entdeckt der englische Seefahrer John Franklin, aus Sicht von Sten Nadolny, die Nord-West-Passage nur, weil er langsam ist. Doch es dauert, bis er diese seine Langsamkeit annehmen kann.

Schlachtgetümmel

In guter Erinnerung von damals ist mir auch die Beschreibung der Schlacht von Trafalgar geblieben – wie Franklin da alles zu schnell geht, wie er einfach nicht mitbekommt, was da an Schlachtgetümmel um ihn herum geschieht.

Starrer Blick

Beim Wiederlesen ist mir aufgefallen, dass Franklin auch lernt, mit seiner “Behinderung” zu leben, wie er sich einen starren Blick antrainiert, mit dem er rasche Vorgänge ignorieren kann, wie er beim Sprechen Floskeln einsetzt, während er nachdenkt, wie er sich ein Ordnungssystem angewöhnt und Aufgaben nach ihrer Dringlichkeit sortiert. Und dass sich Nadolnys Franklin mit seiner Langsamkeit nicht dafür geeignet hat, eine Strafkolonie zu leiten.

Wahrscheinlich entdeckt man in der “Entdeckung” immer wieder neue, andere Aspekte, je nachdem, in welchem Alter oder Zustand man dieses herrliche, in knappen Sätzen geschriebene Buch liest. Und das ist das Schöne an großer Kunst: Sie scheint für jede/n einzelne/n und für jedes Alter speziell geschaffen zu sein.

Von Werner Schuster
Infos:

Sten Nadolny, geboren 1942 in Zehdenick an der Havel, lebt in Berlin und am Chiemsee. Für sein Werk wurde er unter anderen mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 1980, dem Hans-Fallada-Preis 1985, dem Premio Vallombrosa 1986, dem Ernst-Hoferichter-Preis 1995 und dem Weilheimer Literaturpreis 2010 ausgezeichnet. Nach seinem literarischen Debüt »Netzkarte« erschien 1983 der Roman »Die Entdeckung der Langsamkeit«, der in alle Weltsprachen übersetzt inzwischen zum modernen Klassiker der deutschsprachigen Literatur geworden ist. Danach veröffentlichte Sten Nadolny die Romane »Selim oder Die Gabe der Rede«, »Ein Gott der Frechheit«, »Er oder ich«, den »Ullsteinroman« und zuletzt der gemeinsam mit Jens Sparschuh verfasste Gesprächsband »Putz- und Flickstunde«.

Über Sten Nadolny [5] bei Wikipedia.