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Grémillon, Hélène: In Zeiten von Liebe und Lüge


Roman
Hardcover, E-Book
352 Seiten
Erschienen 2014 bei Atlantik
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Originalausgabe: „La Garconniere”,

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Lisandra ist jung und wunderschön, Lisandra ist eine begnadete Tangotänzerin – und Lisandra ist tot. Hat ihr Ehemann, der Psychiater Vittorio, sie aus dem Fenster gestoßen? Im August ist es Winter in Buenos Aires, Lügen und Verrat bestimmen das Leben der Menschen um Lisandra und Vittorio. Doch Eva Maria, Patientin von Vittorio und heimlich in ihn verliebt, macht sich auf die Suche nach der Wahrheit. (Pressetext)

Kurzkritik:

Eine gut lesbare Beziehungslektüre mit Tiefgang. Wer allerdings Nervenkitzel und spannende Aufklärungsarbeit in einem Mordfall sucht, wird für Heikes Empfinden eher enttäuscht.

Besprechung:

Eifersucht und Rache, Liebe und Hass

Eines Tages stürmt die junge Tangotänzerin Lisandra völlig aufgelöst in die Praxis des Psychiaters Vittorio und schüttet ihm ihr Herz aus – es sollte jedoch bei diesem einmaligen Besuch bleiben.

Da die junge Frau dem Psychiater nicht mehr aus dem Kopf geht, begibt er sich auf die Suche nach der tanzenden Schönheit und wird fündig. Als sich nach Jahren ihrer Ehe Gewohnheit und Langeweile einstellt, ist es die besessene Liebe und Eifersucht Lisandras, die alles noch viel schlimmer und schwieriger macht. 
Eines Abends – nach einer ihrer unzähligen Streitigkeiten – begibt sich Vittorio alleine ins Kino. Als er von dort zurück kommt, ist sein Leben schlagartig ein anderes.

Die Wohnung ist verwüstet, zerbrochene Weingläser liegen am Boden, laute Musik dröhnt durch die Wohnung und das Fenster steht weit offen. Lisandras Körper liegt am Gehsteig – ihr Tanz des Lebens ist vorbei. Wer hat die junge Frau aus dem Fenster gestoßen? War es ein Verehrer oder war es Vittorio selbst? Ein Rätselraten um den Mord, seine sonderbaren Umstände und geheimnisvolle Personen beginnt. Lügen und Verrat kommen ans Tageslicht und eine Patientin Vittorios macht sich auf die Suche nach der Wahrheit – mit erschreckenden Ergebnissen.

Lügen und Rätsel

Hélène Grémillon baut ihren Roman über eine in die Jahre gekommene Ehe basierend auf Eifersucht und Rache, Liebe und Hass auf. Die Autorin erzählt von den Abgründen der menschlichen Seele und welche Umstände Menschen zu den unmöglichsten Taten motivieren können. 
Die Hauptfiguren werden sehr detailliert und gekonnt in Szene gesetzt und man blickt als Leser lange nicht hinter die Fassade und Maskerade der Geschehnisse.

Auch die unterschiedlich dargestellten und skizzierten Patienten des Psychiaters Vittorio scheinen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des Mordfalls zu spielen und werfen noch mehr Verstrickungen, Lügen und Rätsel auf. Wer hat die junge Frau nun wirklich auf dem Gewissen? Man tappt sehr lange im Dunkeln und ist immer wieder versucht, den doch so sympathisch wirkenden Psychiater unter Verdacht zu stellen. Schritt für Schritt tastet man sich in der Geschichte an des Rätsels Lösung heran – und wird am Ende mit einer völlig neuen Wendung überrascht.

Nicht gefesselt

Trotz der toll detailliert und umfangreich aufgebauten Geschichte wollte sich bei mir keine fesselnde Spannung einstellen. Natürlich wird man hinsichtlich der Auflösung des Mordfalls angetrieben, Kapitel für Kapitel zu verschlingen, für mich waren jedoch die vielen einzelnen Geschichtsstränge, die anfangs von mir als Teil des großen Ganzen interpretiert wurden, zu langatmig. Man erfährt hier sehr genau von unfassbaren Lebensgeschichten, die am Ende jedoch völlig ohne Bedeutung für die aktuelle Realität und den Mordfall sind.

Das Ende war für mich eher überraschend, obwohl man es sich ansatzweise schon so zusammenreimen kann. Der große und alles klärende Showdown lässt Gerechtigkeitsliebhaber mit großer Frustration und Enttäuschung im Bauch zurück. Alles in allem war für mich der Roman „In Zeiten von Liebe und Lüge“ eine gut lesbare Beziehungslektüre mit Tiefgang in die dunkelsten Geheimnisse der Hauptfiguren – wer Nervenkitzel und spannende Aufklärungsarbeit in einem Mordfall sucht, wird hier für mein Empfinden eher enttäuscht.

Von Heike Rainer

Infos:

Hélène Grémillon wurde 1977 in Poitou (Westfrankreich) geboren. Sie studierte Literaturwissenschaft, arbeitete als freie Journalistin, als Drehbuchautorin und Regisseurin und lebt heute mit dem Sänger Julien Clerc und ihrem gemeinsamen Sohn in Paris.