- Literaturmagazin Eselsohren –  - http://www.eselsohren.at -

Fürnhammer/Mayr: Tschocherl Report

Die unbekannten Wohnzimmer Wiens – Zwischen Fluchtachterl und Gesellschaftkritik

Reportagen
Broschiert
180 Seiten
Erschienen 2013 bei Löcker [1]

Kurzkritik [2]Was meinen Sie? [3]Ausführliche Besprechung [4]Infos [5]
Inhalt:

Tschocherl – das sind diese kleinen, verrauchten Lokale, die scheinbar schon ewig existieren und Namen haben wie “Espresso Bambino”, “Café Rikki” oder “Espresso Florida”. In 21 Tschocherl-Reportagen beleuchten die Autoren einen weitgehend verborgenen Teil Wiens; eine Subkultur, die sich seit Jahrzehnten beharrlich jeder Anbiederung an gastronomische und gesellschaftliche Trends verweigert. (Pressetext)

Kurzkritik:

Ein fein gemachtes Buch mit stimmungsvollen Reportagen. Ich persönlich kann jetzt zwar nicht behaupten, dass ich diese oder andere Tschocherln mit ihren alkoholseligen Gästen unbedingt aufzusuchen muss. Aber dank Fürnhammer und Mayr ist mir, als wäre ich ohnedies schon dort gewesen.

Besprechung:

Origineller Alkoholismus

Ein fein gemachtes Buch mit stimmungsvollen Reportagen. Ich persönlich kann jetzt zwar nicht behaupten, dass ich diese oder andere Tschocherln mit ihren alkoholseligen Gästen unbedingt aufzusuchen muss. Aber dank Fürnhammer und Mayr ist mir, als wäre ich ohnedies schon dort gewesen.

Tschocherl sind kleine, (in der Regel immer noch) verrauchte Cafés mit – wenn überhaupt – kleiner Speisekarte mit ungesundem Essen. Man findet sie in keinem Reiseführer und traut sich wahrscheinlich auch nicht hinein, wenn man nicht jemanden drinnen kennt oder selbst schon betrunken ist.

Es sind Lokale mit einer Ausstattung, die alt (oder auf keinen Fall modisch), aber für Außenstehende dennoch gewöhnungsbedürftig ist. In ihnen leben originelle WirtInnen und KellnerInnen mehr schlecht als recht von zumeist alkoholseligen Stammgästen. Entweder mag man diese (und das Ambiente) oder eben nicht; es gibt da keine Zwischenstufen.

Launig, stimmungsvoll

Das Wort Tschocherl kennt man vor allem in der östlichen Hälfte Österreichs, besonders in Salzburg, Burgenland und Wien. In Wien gibt es jedenfalls viele davon, und von diesen hat der Journalist Arthur Fürnhammer gemeinsam mit dem Fotografen Peter Mayr 21 porträtiert.

Diese launigen Reportagen mit stimmungsvollen Bildern sind ursprünglich in der Wiener Straßenzeitung Augustin erschienen und wurden jetzt vom Löcker Verlag als Buch herausgebracht.

Familiäre Wiener Gemütlichkeit

Kann sein, dass der „Tschocherl Report“ einmal ein historisches Dokument sein wird, wenn keine neuen Stammgäste nachgekommen sein werden (auf den Fotos sind jedenfalls keine jungen Menschen zu sehen). Dann wird vielleicht auch diese Ausdrucksform der (gemischt-nationalen) Wiener Gemütlichkeit ausgestorben sein, bei der Alkohol einfach dazugehört hat zum Raunzen, (Über-)Leben, Politisieren und zur Hetz (d.i. Spaß, Vergnügen).

Andererseits: So leicht lassen sich Tschocherln nicht über einen Kamm scheren. Jedes dieser 21 Lokale hat ein ganz besonderes Profil, dessen Charakteristika vor allem von den WirtInnen bestimmt werden dürften, um die herum sich eine dazu passende Schar von Gästen gefunden hat, die sich auch oft als „Familie“ bezeichnen.

Ich war dabei

Ich persönlich kann jetzt zwar nicht behaupten, dass diese oder andere Tschocherln mit ihren alkoholseligen Gästen unbedingt aufzusuchen muss (ich war – wegen einer Kellnerin – selbst mal Stammgast in einem und hab mich dort nie daheim gefühlt). Aber dank Fürnhammer und Mayr ist mir, als wäre ich ohnedies schon dort gewesen.

Von Werner Schuster

P.S.: Einerseits halte ich es natürlich für großartig, dass die Wiener Straßenzeitung Augustin [6] solche Reportagen publiziert. Andererseits finde ich es beschämend für eine Kulturnation und für die österreichische Zeitungslandschaft, dass dem so ist. Denn der „Tschocherl Report“, wie er jetzt als Buch vorliegt, würde jedem gehobenen Magazin gut zu Gesicht stehen.

P.P.S.: Warum hat man den Titel eigentlich in zwei Wörtern oder ohne Bindestrich geschrieben?

Infos:

Arthur Fürnhammer, geb. 1972, freier Journalist in Wien. Er schreibt für Wiener Zeitung, Falter, Augustin u. a. Publikationen: „Unterwegs nach Albanien“, 2008; „unten“ (Anth.), 2011.
Peter Mayr, geb. 1977, freier Fotograf in Wien. Arbeiten für Profil, Wiener, À la carte, Theater an der Wien u. a. Publikationen: „Neni‘s Feuerküche“, 2012; www.petermayr.com [7]