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Ravel, Edeet: Du liebst mich nicht

Jugendroman
Taschenbuch, E-Book
320 Seiten
Erschienen 2013 bei cbt
Aus dem Amerikanischen von Anne Braun
Originalausgabe: „Held”, 2011

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Während eines Sommeraufenthaltes in Griechenland wird die Amerikanerin Chloe gekidnappt. Tag für Tag steht das einst selbstbewusste, lebensfrohe Mädchen nun Todesängste aus. Ihre Hilflosigkeit, die körperlichen Qualen durch einen der Entführer und die Einsamkeit treiben sie an den Rand des Wahnsinns. Zu Hause kämpft man für ihre Freilassung, doch hier gibt es nur einen, auf den sie sich verlassen kann. Nur einen, der ihr Überleben sichert. Einen, den sie wirklich liebt … ihr Peiniger. (Pressetext)

Kurzkritik:

Ich hatte zuvor schon vom Stockholm-Syndrom gehört, es aber gewissermaßen nicht glauben können, dass Menschen tatsächlich so reagieren. In diesem Roman habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass sich ein Entführungsopfer so verhalten könnte wie Chloe.

Besprechung:

Tagebuch einer Entführung

Ich hatte zuvor schon vom Stockholm-Syndrom gehört, es aber gewissermaßen nicht glauben können, dass Menschen tatsächlich so reagieren. In diesem Roman habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass sich ein Entführungsopfer so verhalten könnte wie Chloe.

Zu Beginn des Romans hat es Chloe fürs Erste überstanden. Die 17-jährige Amerikanerin ist ein Entführungsopfer, wurde vor Kurzem freigelassen und befindet sich nun in einem Hotelzimmer in Washington. Dort soll sie für den CIA ein Protokoll ihrer Entführung erstellen.

Statt dessen schreibt sie ein Tagebuch ihrer Geiselnahme, das niemand außer ihr zu Gesicht bekommen soll. Sie versucht, ihre Entführer zu schützen. Sie hat sich in einen von ihnen verliebt.

Stockholm-Syndrom

„Du liebst mich nicht“ handelt vom Stockholm-Syndrom. Darunter versteht man laut Wikipedia „ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und mit ihnen kooperiert“. Edeet Ravel gelingt es, dieses Phänomen glaubwürdig darzustellen.

Chloe ist 17 und hat gemeinsam mit ihrer Freundin Angie an einem Freiwilligenprogramm in Griechenland teilgenommen. Kurz bevor die beiden nach Chicago zurückreisen, besucht Chloe allein einen Tempel und wird plötzlich von einer Bushaltestelle in ein Auto gezerrt. Ein Mann verabreicht ihr ein Beruhigungsmittel und erklärt ihr, dass sie sich nicht in Lebensgefahr befinden würde. Man bringt sie in eine leere Lagerhalle.

Liebt sie ihn?

Sie rechnet mit dem Schlimmsten. Doch der Mann, mit dem Chloe es den überwiegenden Teil ihrer mehrwöchigen Gefangenschaft zu tun hat, ist sehr fürsorglich. Sie bekommt ausreichend zu essen und zu trinken, und er versucht, ihre Wünsche – etwa nach bestimmter Musik – zu erfüllen. Er ist auch sehr verständnisvoll: Man hat den Eindruck, es täte ihm leid, Chloe als Entführungsopfer einem enormen psychischen Druck auszusetzen. Er erklärt ihr, dass man über sie unschuldig zu Gefängnisstrafen Verurteilte befreien will.

Als sich Chloe in ihn zu verlieben beginnt, versucht er ihr klarzumachen, dass dies eine normale Reaktion von Entführungsopfern sei. Chloes Sympathie geht allmählich so weit, dass sie eine konkrete Chance, befreit werden zu können, nicht ergreift. Und gegen Ende zu sucht sie nach eine Möglichkeit, ihn nach ihrer Befreiung wiedersehen zu können.

Wird sie sich befreien können?

Währenddessen wird nach Chloe gesucht, wird eine Freiheit-für-Chloe-Kampagne initiiert und finanziert, wird über sie gechattet, wird ihre Entführung von den Medien ausgeschlachtet. In der Hauptsache aber lässt uns Edeet Ravel wissen, wie es jemandem ergehen könnte, der oder die Chloes Lage gerät.

Ich hatte zuvor schon vom Stockholm-Syndrom gehört, es aber gewissermaßen nicht glauben können, dass Menschen tatsächlich so reagieren. In diesem Roman habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass sich ein Entführungsopfer so verhalten könnte wie Chloe. Ich wollte ihr auch nie zuflüstern, sie solle nicht so „dumm“ sein. Und am Ende ihres Berichts weiß man, dass die Freiheit-für-Chloe-Kampagne eigentlich fortgesetzt werden müsste. Allerdings: Wie befreit man sich von einer „Liebe“, die einzig dem Überleben unter traumatischen Bedingungen gedient hat? Wem außer ihrem geheimen Tagebuch wird sich Chloe dann anvertrauen können?

Von Werner Schuster

Infos:

Edeet Ravel wurde in einem israelischen Kibbuz geboren und wuchs in Montreal auf. Sie studierte Englisch in Israel und Creative Writing in London. Gemeinsam mit ihrer Tochter lebt sie nun in Kanada. Edeet Ravel hat bereits mehrere erfolgreiche Romane für Erwachsene veröffentlicht.

Mehr über das Stockholm-Syndrom [5] bei Wikipedia.