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Döhring, Jana: Stasiratte

Roman
Taschenbuch
232 Seiten
Erschienen 2012 bei Hartriegel

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Jana Döhring hat für „die Firma“ gearbeitet, Berichte über Kolle- gen in einem Luxushotel geschrieben – aus Leichtsinn, Dummheit, weil sie erpressbar war. Sie erzählt, wie sie diese Zeit erlebt und rasch verdrängt hat und wie sie wieder auftaucht. Denn ein Freund, den sie bespitzelt hat, schreibt ihr Postkarten, „an meinen Stasispitzel“. (Pressetext)

Kurzkritik:

Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi waren nicht grundsätzlich systemkonforme Menschen, die kein Problem damit hatten, ihre Umgebung zu bespitzeln. Das Buch „Stasiratte“ räumt mit diesem Vorurteil überzeugend auf.

Besprechung:

Hätten Sie sich geweigert?

Wenn man im Zusammenhang mit der Stasi des Kürzel „IM“ hört, hat man zumindest als Außenstehender ein Klischeebild vor sich: wahrscheinlich das eines systemkonformen Menschen, der kein Problem damit hat, seine Umgebung zu bespitzeln.

Jana Döhring korrigiert dieses Klischee. Sie hat sich als Inoffizielle Mitarbeiterin von der Staatssicherheit anwerben lassen und wurde nach dem Ende der DDR von einem ihrer Opfer mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben.

Darin gibt sie zum Einen Einblick in den DDR-Alltag, wie man ihn aus vielen anderen Büchern, Filmen etc. kennt: Dauerangst und innere Emigration. Zusätzlich zeigt sie aber auch, wie man als junger Mensch damals versucht hat, trotzdem auch Spaß zu haben.

„Luxus“-Leben

Döhring hatte nun das Glück, als Kellnerin in einem Devisenhotel Arbeit zu finden und dort nicht nur Zeugin eines – für DDR-Verhältnisse – „Luxus“-Lebens zu werden, sondern auch ein klein wenig davon naschen zu können. Sie lernt dort neben internationalen Geschäftsleuten auch dubiose Gestalten kennen – einer davon wird ihr Freund.

Und der hat nichts dagegen, dass Döhring eines Tages von einem Stasi-Agenten angesprochen wird, glaubt er doch, dass sie ihn mit geschönten Berichten entlasten könnte. Sie allerdings zweifelt, ob sie sich mit diesem Staat näher einlassen will. Als man ihr einredet, dass man von ihr bloß Information über den Rauschgift-Handel im Hotel haben möchte, lässt sie sich anwerben.

Wenn man einmal angefangen hat …

Doch von Rauschgift ist schon bald nicht mehr die Rede: Tatsächlich soll sie über ihre KollegInnen Auskunft geben. Das ist ihr zuwider, doch sie sieht keine Möglichkeit, sich zu weigern. Und wenn man einmal angefangen hat, macht man immer weiter und weiter. Berichtet sie anfangs Unverfängliches, so nutzt sie ihre Lage später auch aus, um eine unliebsame Kollegin loszuwerden.

Wie hätten Sie und ich gehandelt? Wären wir standhaft geblieben und hätten vielleicht riskiert, unsere ein wenig privilegierte Anstellung zu verlieren? Hätten wir uns geweigert, unsere Mitmenschen zu bespitzeln? Wäre unsere Tätigkeit nicht irgendwann einmal verhasster Alltag geworden?

Scham

Wären wir nach dem Ende der DDR herumgelaufen und hätten herumerzählt, dass wir einmal IM gewesen sind? – Auch Döhring hat das nicht getan. Doch eines Tages erhält sie einen Brief von Gerry, einem ihrer ehemaligen Opfer. Sie ist schockiert. Da auch ihr Mann nichts von ihrer Stasi-Vergangenheit weiß, traut sie sich nicht, sich an ihn zu wenden.

Sie weiß auch nicht, ob und wie sie mit Gerry Kontakt aufnehmen soll, ihm sagen, dass sie sich schämt und wie sehr sie alles bedauert. Und während die noch überlegt, kommt einen Postkarte mit Grüßen an „meinen Stasispitzel“, und dann noch eine und noch eine, Monat für Monat.

Unterstützung

Erst über ein Jahr nach dem Brief gesteht Döhring alles ihrem Mann. Der ist ebenfalls schockiert – und unterstützt sie dann dabei, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen – und wie sie mit Gerry umgehen soll.

Mit Gerry konnte sich Döhring nicht versöhnen, doch ihre Geschichte hat sie mit diesem Buch verarbeitet. „Stasiratte“ wird als Roman bezeichnet, warum nicht als Autobiografie, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls kommt Döhring darin als Ich-Erzählerin mit ihrem Echt-Namen vor. Abwechselnd berichtet sie chronologisch von ihrer DDR-Zeit und von der Gegenwart ab dem Zeitpunkt, an dem sie den Brief von Gerry erhalten hat.

Ende

Ihr letztes Treffen mit ihrem Stasi-Mann findet im Jahre 1990 statt:

Micha schien sich nicht besonders gut zu fühlen, er wirkte lethargisch und war blass. Seine grundsätzlich positive Ausstrahlung war einem trotzigen Sarkasmus gewichen. Nach einigen Minuten, in denen er sich über das Wetter, die vollen Straßen und Ärger in der Dienststelle beschwerte, hätte ich auch gleich wieder aufbrechen können. Es gab nichts mehr zu berichten, was nicht allgegenwärtig war und für ihn existenzbedrohend.

So endet Döhrings Dasein als Spitzel. Auch ohne Gerrys Postkarten hätte sie sich ihr restliches Leben voller Scham und Selbstvorwürfe daran erinnert. Aber dann wäre wohl auch dieses Buch nicht entstanden und dieses ist für Außenstehende und gewiss auch für ehemalige DDR-BürgerInnen ein wichtiger Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung. Auf jeden Fall kann es dazu beitragen, Klischees und Vorurteile zu beseitigen.

Von Werner Schuster

Infos:

Jana Döhring, 1961 in der DDR als Kind regimekritischer Eltern geboren, arbeitetet im Hotel- und Gaststättengewerbe in Potsdam und Ostberlin. Nach der Wende berufstätig in Westberlin, später dann in Köln. Jana Döhring ist verheiratet und hat einen Sohn.

Mehr über die Stasi [5] bei Wikipedia.

Zum Hartriegel-Verlag [6]