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Prophète, Emmelie: Das Testament der Einsamen

Cover Prophete Das Testament der EinsamenRoman
Taschenbuch
115 Seiten
Erschienen 2012 bei litradukt
Aus dem Französischen von Antje Tennstedt
Originalausgabe: „Le testament des solitudes”

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Drei Generationen von Frauen leiden still und allein, Zeugnisse von Menschen, für die Hoffnung und Glück Fremdwörter sind. Ein poetischer Text über die Einsamkeit und das Exil, Niederschlag des Lebensgefühls eines Landes, „das seit jeher in der karibischen See und im Elend versinkt“. (Pressetext)

Kurzkritik:

Wer sich für eine realistische, autobiographische Schilderung des Lebens in Haiti interessiert, für den ist dieses Buch ungeeignet. Wer sich jedoch auf die farbenreichen Schilderungen und lose verknüpften Erinnerungen des Ichs einlassen kann, der sollte einen Blick in „Das Testament der Einsamen“ werfen.

Besprechung:

Aus dem Elendsviertel auf Haiti in die USA und zurück

Ein nicht näher benanntes „Ich“ erzählt in „Das Testament der Einsamen“ von ihrer Familie, vor allem ihrer Mutter und deren beiden Schwestern Odile und Christine. Von Frauen, die bleiben, trotz Verzweiflung, Angst und Verfall – oder die weggehen, wie die beiden Schwestern und auch die Ich-Erzählerin selbst. Als sie dann zurückkehrt, fühlt sie sich fremd und sprachlos, kann zu ihrer Kindheit und zu ihren Kusinen keine Verbindung herstellen und weiß zugleich, dass sie sich auch in den USA nicht absolut zugehörig fühlt.

Das Meer, die Häuser, die Straßen der Kindheit

„Das Testament der Einsamen“ erzählt keine stringent ablaufende Geschichte, die Erzählerin springt vielmehr in seinen Gedanken und Erinnerungen hin und her, erzählt von Begräbnissen, einer Begegnung mit der Großmutter, dem einzigen Spiegel im Stadtviertel, um dann wieder auf dem Flughafen von Miami zu landen, wo sie durch Shops streift und Starbucks-Kaffee trinkt. In ihren Betrachtungen bleibt sie immer wieder an Fotos und Bildern hängen, beschreibt Farbeindrücke und scheint fast über die Landschaft zu schweben. Sie spricht ihre (früheren) Landsleute mit „ihr“ an und schließt sich dadurch von ihnen aus.

Eine weibliche Erinnerung

Tod, Abschied und Einsamkeit sind die wichtigsten Themen dieser mäandernden Schilderung. Das Ich präsentiert die Erinnerungen und Erlebnisse ihrer Großmutter, ihrer Mutter, ihrer Tanten und Kusinen und zeichnet so ein weibliches Erinnerungsbild Haitis. Durch ihre Außenposition als zurückkehrende Auswandererin wird auch ihre Unsicherheit angesichts des früher vertrauten Landes und die gedrückte Stimmung deutlich. Wer sich für eine realistische, autobiographische Schilderung des Lebens in Haiti interessiert, für den ist dieses Buch ungeeignet. Wer sich jedoch auf die farbenreichen Schilderungen und lose verknüpften Erinnerungen des Ichs einlassen kann, der sollte einen Blick in „Das Testament der Einsamen“ werfen.

Von Sabine Schönfellner

Infos:

Emmelie Prophète, geboren 1971, studierte Jura und Literaturwissenschaften in ihrer Geburtsstadt Port-­­au-Prince. Sie leitete acht Jahre lang eine Jazzsendung bei Radio-Haïti, war im Lehramt sowie als haitianischer Kulturattaché in Genf tätig und schrieb für verschiedene Zeitschriften.
Als Schriftstellerin machte sie zunächst durch die Lyrikbände „Des marges à remplir“ (2000) und „Sur parure d’ombre“ (2004) auf sich aufmerksam. „Das Testament der Einsamen“ ist ihr erster Roman.