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Kolanović, Maša: Underground Barbie

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Cover Kolanovic Underground Barbie
  • Roman
  • Broschiert
  • 212 Seiten
  • Erschienen 2012 bei Prospero
  • Aus dem Kroatischen von Patricia Fridrich
  • Originalausgabe: „Sloboština Barbie”

Inhalt:

Sloboština ist eine Hochhaussiedlung an der Peripherie von Zagreb. Maša Kolanovićs Protagonistin wächst dort in den achtziger Jahren auf, und wie viele Mädchen auf der ganzen Welt verbringt sie mit ihren Freundinnen etliche Stunden des Tages in der glamourösen Scheinwelt ihrer Barbiepuppen. Anfang der neunziger Jahre drängt sich die politische Realität, der Krieg und Zerfall Jugoslawiens, in die unbeschwerte Kindheit. Bei Luftalarm bringen sich die Bewohner im Hochhauskeller in Sicherheit. Barbies Welt entsteht nun zwischen Einmachgläsern und Rattenfallen, eine ramponierte Ken-Figur vom Flohmarkt wird zum nationalistischen Anführer befördert. (Pressetext)

Kurzkritik:

Gute Ideen sind vom Prinzip her simpel und lösen oftmals den Gedanken oder Ausruf aus: Warum ist da noch niemand drauf gekommen?!?

Die Kroatin Maša Kolanović hatte eine solche Idee: Eine junge Frau erinnert sich an den Krieg und berichtet davon aus der Warte des mit Puppen spielenden Mädchens. In diesem Fall sind das Barbies. Und wir befinden uns in Ex-Jugoslawien.

Nun haben viele Menschen Ideen, die wenigsten setzen sie auch in die Tat um und vereinzelt tun sie das auch noch gut. „Underground Barbie“ ist umwerfend gut.

„Underground Barbie“ versetzt uns in die fantasievolle Kinderwelt zurück und zeigt, wie in dieser mit Bedrohungen umgegangen wird. Der Roman könnte folgendes Alfred-Adler-Zitat als Motto haben: „Es ist naheliegend, dass jene Kinder ihre Phantasie stärker entwickeln werden, die das Leben mit feindlichen Augen betrachten, mit welcher Einstellung gewöhnlich auch eine stärkere Anspannung der Vorsicht verbunden ist.“

Besprechung:

Das Leben mit feindlichen Augen betrachten

Gute Ideen sind vom Prinzip her simpel und lösen oftmals den Gedanken oder Ausruf aus: Warum ist da noch niemand drauf gekommen?!?

Die Kroatin Maša Kolanović hatte eine solche Idee: Eine junge Frau erinnert sich an den Krieg und berichtet davon aus der Warte des mit Puppen spielenden Mädchens. In diesem Fall sind das Barbies. Und wir befinden uns in Ex-Jugoslawien.

Tom-Cruise-Doubles

Nun haben viele Menschen Ideen, die wenigsten setzen sie auch in die Tat um und vereinzelt tun sie das auch noch gut. „Underground Barbie“ ist umwerfend gut.

Bis zu jenem Tag dachte ich, so ein Geräusch könne man nur in einer Flugschau hören, auf der die Flieger blaue, weiße und rote Kondensstreifen hinter sich herziehen und die Piloten halsbrecherische Manöver à la Tom Cruise in Top Gun vorführen. Nur, dass die Tom-Cruise-Doubles in diesem Fall die olivgrünfarbene Uniform der Jugoslawischen Volksarmee JNA [5] trugen.

Barbie im Luftschutz-Keller

Das Mädchen erlebt das erste Bombardement auf Zagreb, wo sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder in der Hochhaussiedlung Sloboština wohnt. Sie ist vorbereitet. Sie hat ihre geliebten Barbies samt Accessoires in einen kleinen Koffer gepackt, den sie nun in den Luftschutz-Keller mitnimmt.

Noch spielt sie mit ihren – natürlich ebenfalls Barbies oder billigere Nachbauten besitzenden – Freundinnen, als wäre alles normal. Doch nach und nach machen sich die Lebensumstände bemerkbar: Bald geht es den Mädchen nicht mehr um – vom Fernsehen und der Werbung genährte – Wunschvorstellungen von einem sorglosen, wohlhabenden Leben.

Raffinierter

In einem vielleicht immer noch guten Roman würden sie jetzt Krieg gespielt haben und irgendwann hätten sich die Erwachsenen eingemischt und dies gut oder schlecht geheißen.

Kolanović geht bedeutend raffinierter vor. Sie beschreibt nicht, was Erwachsene glauben, dass Kinder und Jugendliche erleben, sondern bleibt in der Welt der Heranwachsenden. Man braucht ja nur einmal die eigenen Eltern zu fragen, wie ein für eine/n selbst entscheidendes Erlebnis aus ihrer Sicht gewesen ist. Meistens werden sie sich gar nicht daran erinnern oder sie bewerten es völlig anders.

Ein Interview mit Rašković

Was den Erwachsenen am Jugoslawienkrieg also ernst und wichtig war (Tuđman, Mladić, Karadžić, Knin, Sao Krajina), ist für ihre Kinder oft bloß eine Randerscheinung. Und umgekehrt. (Dennoch laufen die Kinder natürlich nicht unbeeinflusst durch die Gegend. An einem Nachmittag schneiden sie auf einem Kassettenrecorder aus einem echten ein „lustiges“ Interview mit Jovan Rašković [6] zusammen, dem Präsidenten der Serbischen Demokratischen Partei.)

Und dennoch verändert sich, wie gesagt, das Spiel der Mädchen. Bald werden die Ausdrücke derber, bald wird das Spiel sexualisierter (obwohl das auch bloß mit dem Alter der Kinder zu tun haben kann).
„Am besten bumst man mit einer glatzköpfigen Puppe, der man beim sex die Perücke vom Kopf reißen und sich selbst aufsetzen kann!“

Nachdem Svjetlanas Ken dies zu Deas Barbie gesagt hatte, gab eine Sirene das Ende Des Luftalarmas bekannt, und damit war auch unser Spiel beendet, das sowieso langsam in eine Farce übergegangen war. In eine Barbie-Farce.

Dr. Kajfeš

Bald wird aus einer früheren Nebenfigur eine Puppe, die das Spiel bestimmt. Svjetlanas Ken stammt nicht aus dem Hause Mattel, er wird Dr. Kajfeš genannt (nach dem gleichnamigen Anti-Schnarchmittel), hat einen verbrannten Teint, ein halb ausgekratztes Auge und an der rechten Hand verstümmelte Finger.

Bald macht er aus einer Traumhochzeit eine Farce, bald übernimmt er die Rolle eines Lehrers und kann die Augen nicht von den „kleinen blonden Nymphen“ lassen, bald spielt er mit einem zweiten Ken das Duo aus Miami Vice und schließlich Mladić [7] und Karadžić [8], die ein Massaker an der Plastik-Zivilbevölkerung verüben, gleich darauf die polnischen Zeichentrickhelden Lolek und Bolek bei den Olympischen Spielen in Tschechien.

Durch den Krieg gerettet

Damit ist das Buch und diese Kindheit im Krieg noch lange nicht zu Ende, die Barbie-Farce wird immer schriller, unheimlicher, perverser. Sie spielen doch nur. Und mit dem Ende des Krieges hören sie relativ abrupt damit auf. Nachdem sie sich damit durch den Krieg gerettet haben, kommen sie sich plötzlich zu alt vor dafür. Die Barbies und die Accessoires verkommen nach und nach, verschwinden, werden verschenkt oder verkauft. Nur Dr. Kajfeš, den niemand haben will, landet auf dem Müll.

Das alles liest sich sehr authentisch und hat, sollte es autobiografisch sein, das Persönliche ins berührende Allgemeine transformiert. Dazu passt, dass das Buch mit vielen Zeichnungen der Autorin ausgestattet ist, von denen man nicht sagen kann, ob sie aus Kinderzeiten sind oder nachtraglich angefertigt.

Bedrohte Kinderwelt

Jedenfalls hat uns die 1979 geborene Maša Kolanović ein Buch geschenkt, das uns in die fantasievolle Kinderwelt zurückversetzt und zeigt, wie in dieser mit Bedrohungen umgegangen wird. „Underground Barbie“ könnte folgendes Alfred-Adler-Zitat als Motto haben: „Es ist naheliegend, dass jene Kinder ihre Phantasie stärker entwickeln werden, die das Leben mit feindlichen Augen betrachten, mit welcher Einstellung gewöhnlich auch eine stärkere Anspannung der Vorsicht verbunden ist.“

Von Werner Schuster
Infos:

Maša Kolanović, geboren 1979 in Zagreb, Studium der Literaturwissenschaft, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zagreb.

Mehr über den Kroatienkrieg [9] bei Wikipedia-