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Laufer, Anke: Die Irritation

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Cover Laufer Die Irritation
  • Erzählungen
  • Broschiert
  • 298 Seiten
  • Erschienen 2012 bei Worthandel

Inhalt:

Anke Laufers 21 Stories handeln von Liebe, Tod und dem Einbruch des Unergründlichen und Verstörenden in den Alltag. Die Geschichten entführen den Leser in ein englisches Seebad, in ein süddeutsches Dorf, in die Straßen von Madrid oder in eine fiktive südamerikanische Großstadt, berichten aus der scheinbar wohlvertrauten Gegenwart oder führen uns die gar nicht so weit entfernte, deshalb aber umso unheimlicher erscheinende Zukunft vor Augen. (Pressetext)

Kurzkritik:

Auch wenn diese Erzählungen nicht angenehm zu lesen sind, so ist es doch lohnend. Sei es, um sich mit den eigenen Schattenseiten auseinanderzusetzen, sei es, um sich zu fragen, ob man nicht oft zu vorschnell ist bei der Beurteilung anderer. Denn was hätte geschehen müssen, damit die Vergangenheit jenen Mann in „Die Zuflucht des Vito Laquasto“ nicht einholt, der seine Familie bei einem Hauseinsturz verloren hat? Hätte man von seinem Schicksal gewusst, hätte man ihn vielleicht nicht in den Selbstmord getrieben.

Oder sei es, um sich gerne Übersehenes wie Ausbeutung und Gefährdung von Arbeitenden oder den sorglosen Umgang mit der Umwelt wieder einmal zu vergegenwärtigen („Kilphire Hoe“) – ohne mit der Nase drauf gestoßen zu werden.

Besprechung:

Auf sehr dünnem Eis

„Lesen ist Abenteuer im Kopf“ lautete einmal ein Slogan, der die Lesekultur ankurbeln sollte. Wenn dieser Slogan auf ein Buch zutrifft, dann auf „Die Irritation“ von Anke Laufer.

Bei deren Erzählungen kann man sich nämlich nie sicher sein, wohin die Reise geht. Meistens findet man sich unweigerlich im Ungewissen, Unheimlichen wieder. Und bei einige Geschichten ist nicht einmal die Handlung klar: Ist der Bursche in „Am Klippenrand“ ein Kinderschänder oder hat man sich das nur eingebildet? War der Tod von Schallmeyer in „Schallmayers Klarsicht“ nun ein Unfall oder Mord? – Jedenfalls fängt Laufer hier die allgemeine Angst um den Arbeitsplatz ein, ohne plakativ zu werden.

Die unschuldige Mutter

Bei anderen Erzählungen ist die Sachlage klarer, dennoch wird man vom Fortgang der Handlung überrascht. Warum hat in „Die Irritation“ die nette alte Dame das verliebte Mädchen vom Schiff ins Meer gestoßen? Wie hätte die Frau in „Der Papiervater“ verhindern können, dass ihr die Tochter die Schuld daran gibt, dass der Vater die Familie verlassen hat?

Die Zukunft wird nicht besser

Die Menschen bewegen sich bei Laufer auf sehr dünnem Eis. Und darunter wartet das Verdrängte und/oder das Unglück. Auch die Zukunft wird nicht besser: Es scheint weder eine gute Idee zu sein, Körper mit Transplantaten zu erneuern („Der Klomann”) noch das Altern abzuschaffen oder als Strafe einzusetzen („Die Chronistin von Chateauroux“).

Schattenseiten, Vorurteile

Und auch wenn diese Erzählungen nicht angenehm zu lesen sind, so ist es doch lohnend. Sei es, um sich mit den eigenen Schattenseiten auseinanderzusetzen, sei es, um sich zu fragen, ob man nicht oft zu vorschnell ist bei der Beurteilung anderer. Denn was hätte geschehen müssen, damit die Vergangenheit jenen Mann in „Die Zuflucht des Vito Laquasto“ nicht einholt, der seine Familie bei einem Hauseinsturz verloren hat? Hätte man von seinem Schicksal gewusst, hätte man ihn vielleicht nicht in den Selbstmord getrieben.

Oder sei es, um sich gerne Übersehenes wie Ausbeutung und Gefährdung von Arbeitenden oder den sorglosen Umgang mit der Umwelt wieder einmal zu vergegenwärtigen („Kilphire Hoe“) – ohne mit der Nase drauf gestoßen zu werden.

Von Werner Schuster
Infos:

Anke Laufer, 1965 in Villingen geboren, studierte Ethnologie und Politik in Freiburg im Breisgau. Nach mehreren Forschungsaufenthalten in Lima, Peru, promovierte sie zum Thema Rassismus, ethnische Stereotype und nationale Identität in Peru. Es folgten Aufträge als freie Redakteurin und Projektkoordinatorin im Verlagswesen und Multimedia Publishing.
Seit 2006 veröffentlicht sie Prosatexte. Für ihre Kurzgeschichten und Erzählungen erhielt sie mehrere Stipendien und Auszeichnungen, darunter den Schwäbischen Literaturpreis 2007, den Deutschen Kurzkrimipreis 2009 und den Würth-Literaturpreis 2011. Im selben Jahr war sie Literaturstipendiatin der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá.
Die Autorin lebt mit ihrer Familie bei Tübingen.

Mehr über Anke Laufer bei www.ankelaufer.com [5].