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Sankovitch, Nina: Tolstoi und der lila Sessel

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover Sankovich Tolstoi
  • Erinnerungen
  • Hardcover
  • 288 Seiten
  • Erschienen 2012 bei Graf (Ullstein)
  • Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger & Susanne Höbel
  • Originalausgabe: „Tolstoy and the Purple Chair”, 2011

Inhalt:

Mehr als 2,5 cm dick darf es nicht sein. Aber das ist auch das einzige Ausschlusskriterium. Ob Krimi, Kochbuch, Klassiker – oder der aktuelle Topseller: Nina Sankovitch, Tochter polnischer US-Einwanderer, ist mit Büchern aufgewachsen. Und entdeckt nun, nach dem Tod ihrer geliebten Schwester, die Literatur ein zweites Mal für sich: als Trost- und Kraftspenderin. Zwischen Wäschebergen, Kindergeschrei und Supermarkt nimmt Nina sich Auszeiten – und entlockt jedem Buch ein anderes Geheimnis. Für sie bedeutet Lesen pures Lebensglück: und einmal am Tag den Moment, bei dem man ganz bei sich ist. (Pressetext)

Kurzkritik:

Dieses Buch hat etwas von einer politisch korrekten Biografie: Man erfährt zwar viel von Sankovitch, lernt sie aber nicht wirklich kennen. Und man bekommt Einblicke in das, was ich als esoterisches Lesen bezeichnen würde.

Besprechung:

Esoterisches Lesen

Eigentlich habe ich „Tolstoi und der lila Sessel“ bestellt, weil da jemand ein Jahr lang jeden Tag ein Buch gelesen hat. „Das bringe ja nicht einmal ich zusammen!“, habe ich angesichts des Klappentextes gedacht. Ich muss mich zum Nicht-Lesen regelrecht zwingen, also zum Beispiel in einen Urlaub kein Buch mitnehmen (– und dann falle ich über jene Bücher her, die von Gästen zurückgelassen worden sind).

Aber darum geht es in Sankovitch‘ Buch gar nicht. Die Juristin ist zwar eine Leseratte von Kindheit an, doch den Ausschlag für ihr Lese-„Experiment“ gab der Tod ihrer Schwester, den sie nicht überwinden konnte.

Ich hatte die letzten drei Jahre damit verbracht, wie eine Wahnsinnige herumzurennen, mein Leben und das meiner ganzen Familie mit Aktivitäten und Plänen zu füllen, ich war in Bewegung, ständig in Bewegung. Doch soviel ich auch in unser Leben hineinzwängte, sosehr ich mich ablenkte, der Trauer und dem Schmerz entkam ich nicht.
Schluss mit der Rennerei. Ich musste aufhören, mich ständig um alles und jedes zu kümmern. Ich musste anfangen zu lesen.

„Dark and light exist everywhere in the world“

Sie tat nicht nur das, sie veröffentlichte auch jeden Tag eine Buchbesprechung in ihrem Blog www.ReadAllDay.org [5]. Über die Anthologie „Kingston Noir“ heißt es:

Do I have a greater understanding of evil, for having read Kingston Noir and so many of the others in the Akashic Noir series? I certainly have a greater fear of the dark side, both the one within and without. For if the Noir series shows us anything, it is that dark and light exist everywhere in the world – and in ourselves.

Trost und Rat

Sankovitch sieht sich nicht als Kritikerin, sonder als Leserin, die ihre Eindrücke wiedergibt. Sie sucht in Büchern Aussagen über das Leben an sich. Sie erwartet sich von Büchern Trost und Rat. Das hat für mich durchaus seine Berechtigung, wirkt jedoch etwas naiv oder eindimensional.

Jedenfalls war ihr Blog ein so großer Erfolg, dass sich eine Zweitverwertung ihres Lesejahres förmlich angeboten hat. Also hat Sankovitch ihre Erfahrungen zu Papier gebracht. „Tolstoi und der lila Sessel“ ist ein ungeordnetes Sammelsurium an Leseeindrücken, vermischt mit eher oberflächlichen Lebenserinnerungen der Autorin.

Lebenshilfe

Das Buch hat etwas von einer politisch korrekten Biografie: Man erfährt zwar viel von Sankovitch, lernt sie aber nicht wirklich kennen. Und man bekommt Einblicke in das, was ich als esoterisches Lesen bezeichnen würde.

Selbstverständlich lesen wir Bücher, von denen wir uns angesprochen fühlen und von denen wir glauben, dass sie etwas mit uns zu tun haben. Aber muss es gleich Lebenshilfe sein? Ich glaube nicht, dass Bücher allein deswegen geschrieben und verlegt werden.

Doch es freut mich (und das ist nicht zynisch gemeint), dass Sankovitch‘ Lesejahr ihr den Raum gegeben hat, „den ich brauchte, um herauszufinden, wie ich nach dem Tod meiner Schwester weiterleben konnte“.

Von Werner Schuster
Infos:

Nina Sankovitch wuchs als Tochter polnischer Einwanderer in Evanston, Illinois auf und studierte in Harvard Jura. Von Oktober 2008 bis Oktober 2009 las die vierfache Mutter täglich ein Buch und besprach es in ihrem Blog www.ReadAllDay.org [5]. In ihrem ersten Buch erzählt sie, wie „Projekt 365“ ihr Leben veränderte. Nina Sankovitch lebt mit ihrer Familie in Connecticut.