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Bußmann, Nina: Große Ferien

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
  • Roman
  • Hardcover
  • 200 Seiten
  • Erschienen 2012 bei Suhrkamp

Inhalt:

Bereits seit Monaten unterrichtet Schramm nicht mehr; etwas soll vorgefallen sein zwischen ihm und einem Schüler. Die Kollegen haben es schon immer gewußt, hinter seinem Rücken zerrissen sie sich über ihn, der immer korrekt war, die Mäuler. Zeit hat er jetzt genug, sollte man meinen, aber die Sache ist längst nicht ausgestanden. Und so wendet Schramm sich widerwillig an den einzigen Menschen, den er noch hat, seinen Bruder.

Kurzkritik:

„Große Ferien“ ist ein faszinierender und ein mehr oder weniger unheimlicher Roman. Faszinierend, weil wir diesen – vage bleibenden – Schramm besser kennenlernen wollen, unheimlich, weil wir zur Not auch etwas in ihn hineininterpretieren, das wahrscheinlich mehr über uns aussagt als über ihn. Es sagt jedenfalls viel über unseren Medienkonsum aus: über die kleinen und großen Verbrechen, mit denen wir tagtäglich aus zweiter Hand konfrontiert sind, im Fernsehen, in Zeitungen, in Büchern und Filmen.

Denn eigentlich wartet man ja auf die Enthüllung eines Verbrechens oder zumindest einer Schandtat, Schramms Garten kann doch nur die Idylle sein, vor der sich das Böse gut abhebt, oder?

Besprechung:

Untauglich für Reality-TV

Dass sich an diesem Buch die Geister scheiden, kann man nicht behaupten, wenn man sich die Perlentaucher-Rezensionsnotizen [5] ansieht. Viel eher scheint jede/r einen anderen Roman gelesen zu haben.

Ein Lehrer wurde vom Dienst suspendiert. Entweder weil er einem Schüler eine Ohrfeige verpasst habe oder weil er mit diesem ein homosexuelles Verhältnis gehabt habe oder weil seiner Entlassung sonst ein Verbrechen zugrunde liege.

Nina Bußmann verrät es tatsächlich nicht. Sie beschreibt einen Lehrer namens Schramm, der seinen Garten pflegt, während er auf seinen Bruder wartet. Etwas ist an seiner Schule vorgefallen, vielleicht hätte er es dem Bruder erzählt, aber der kommt dann doch nicht.

Ein verkrochener Mensch

Und selbst wenn der aufgetaucht wäre – wir können uns nicht sicher sein, dass er vor diesem nicht geschwiegen hätte wie sein langem. Wir haben es hier mit einem in sich verkrochenen Menschen zu tun, quasi mit dem Gegenteil einer Reality-TV-Figur oder eines Zeitgenossen, der intime Telefonate in der Öffentlichkeit führt.

Wir erfahren einiges über Schramms Leben, das man nun nicht als aufregend bezeichnen kann, das ein Rätsel bleibt, auch wenn ihm nichts Geheimnisvolles anhaftet. So wie Bußmann ihn schildert, könnte er ein Typ sein, mit dem man einen Abend verbracht hat und über den man nachher nur Vages sagen könnte.

Man wartet auf die Enthüllung eines Verbrechens

Dennoch ist „Große Ferien“ faszinierend und mehr oder weniger unheimlich. Faszinierend, weil wir diesen Schramm besser kennenlernen wollen, unheimlich, weil wir zur Not auch etwas in ihn hineininterpretieren, das wahrscheinlich mehr über uns aussagt als über ihn. Es sagt jedenfalls viel über unseren Medienkonsum aus: über die kleinen und großen Verbrechen, mit denen wir tagtäglich aus zweiter Hand konfrontiert sind, im Fernsehen, in Zeitungen, in Büchern und Filmen.

Denn eigentlich wartet man ja auf die Enthüllung eines Verbrechens oder zumindest einer Schandtat, Schramms Garten kann doch nur die Idylle sein, vor der sich das Böse gut abhebt, oder?

Keine Lösung, keine direkte Rede

Ich weiß nicht, ob es in Bußmanns Absicht gestanden ist, diese – von den Medien geschürten – Erwartungshaltungen der LeserInnen aufzudecken, doch zumindest auf mich hat dieser Roman so gewirkt. Und ich fand es interessant, dass ich nicht enttäuscht war darüber, dass die aufgebaute Spannung nicht wirklich aufgelöst wird, dass also der Grund für Schramms Entlassung rätselhaft bleibt.

Geschrieben ist das jedenfalls in einer stilsicheren, präzisen und poetischen Sprache, die ohne Dialoge und direkte Rede auskommt:

Gestern hatte Viktor seinen Besuch angekündigt. Als das Telefon zum wiederholten Mal nicht aufhören wollte zu läuten, da schon hatte Schramm es gewusst, noch bevor er endlich doch seine Arbeit abgebrochen hatte, ins Haus gelaufen, zuletzt gerannt war, hatte er es gewusst. Niemand sonst, nur der Bruder, meldete sich mit einer solchen Hartnäckigkeit. Kaum zu verstehen war Viktor. Ob alles in Ordnung sei, fragte er.

Von Werner Schuster
Infos:

„Mein Plan B: Tanzen lernen“ [6] – Nina Bußmann über ihren Roman (Buchreport).

Das meinen andere [5] (Perlentaucher-Rezensionsnotizen).

Nina Bußmann, geboren 1980 in Frankfurt am Main, lebt in Berlin. Studium der Komparatistik und Philosophie in Berlin und Warschau. Zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften. Beim Ingeborg Bachmann-Preis 2011 erhielt sie für einen Auszug aus ihrem Debütroman Große Ferien den 3sat-Preis.

Mehr über Bußmann [7] bei Wikipedia.