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Demick, Barbara: Die Rosen von Sarajevo

Kurzkritik [1]Ihre Meinung [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
  • Eine Geschichte vom Krieg
  • Sachbuch Gesellschaft, Geschichte
  • Hardcover
  • 304 Seiten
  • Erschienen 2012 bei Droemer
  • Aus dem Amerikanischen von Gabriele Gockel und Maria Zybak
  • Originalausgabe: „Besieged. Life under Fire on a Sarajevo Street”, 2012

Inhalt:

Während des Bosnienkriegs hat die Journalistin Barbara Demick mit den Menschen in Sarajevo gelebt. In diesem Buch schildert sie am Beispiel des Schicksals der Bewohner einer Straße – der Logavina –, die drei Jahre lang dem Artilleriebeschuss der serbischen Belagerer ausgesetzt war, die erschütternde Lebenswirklichkeit der Bevölkerung Sarajevos.

Kurzkritik:

„Die Rosen von Sarajevo“ sind nicht „nur“ ein schrecklich anschauliches Buch über das Leben im Krieg, sondern auch darüber, dass es nicht allein an den „normalen“ Menschen liegt, ob sie miteinander auskommen.
Besprechung:

Sich an den Krieg gewöhnen

Was wissen wir (noch) von den Jugoslawienkriegen? Haben wir je verstanden, worum es dabei ging? Auch Barbara Demick kann die Ursachen nicht vollends erklären, doch darum geht es in ihrem Buch ja auch nicht. Sie schildert vor allem, was (dieser) Krieg für die Zivilbevölkerung bedeutet hat. Genauer gesagt: für die Bevölkerung von Sarajevo. Noch genauer gesagt: für die BewohnerInnen einer Straße, der Logovina.

Anhand dieser Menschen kann sie anschaulich machen, was es bedeutet, unter ständigem Beschuss zu leben, von der Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Strom abgeschnitten zu sein. Aber kann man sich deswegen tatsächlich vorstellen, wie es sein muss, sich in Lebensgefahr zu begeben, bloß weil man Wasser holen geht? („Die Rosen von Sarajevo“ nennt man übrigens die zahllosen Granateneinschläge, die als Mahnmale für die Opfer des Kriegs mit rotem Kunstharz ausgegossen wurden.)

126.000 Tonnen Lebensmittel waren zu wenig

In der Logovina haben vor dem Krieg weder Arme noch Reiche gewohnt, alle haben geglaubt, dass die Belagerung durch die Serben bald vorbei sein würde. Allmählich verzogen sich die BewohnerInnen immer mehr in ihre Häuser und dort einen in vor Granaten sicheren Raum, in dem man mit improvisierten Öfen kochte und heizte. Obwohl es rings um Sarajevo viel Wald gibt, war man gezwungen, die Wohnungseinrichtungen zu verheizen.

Nahrungsmittel waren knapp, man trank „Kaffee“, der aus Trockenlinsen bestand, aß „Schnitzel“, die aus altbackenem Brot bestanden. Weil auf den Markt zu gehen den Tod bedeuten konnte, baute man an geschützten Orten Gemüse an. Dennoch hungerte man – trotz der internationalen Luftbrücke, mittels derer von Juli 1992 bis Jänner 1995 fast 126.000 Tonnen Lebensmittel und 14.000 Tonnen medizinische Hilfsgüter nach Sarajevo gebracht wurden.

1.601 Kinder

Der Belagerung, die schließlich 1.425 Tage dauern sollte, und den Kämpfen fielen nach Angaben der Regierung Bosnien-Herzegowinas 10.615 Menschen aller Volksgruppen zum Opfer, unter ihnen 1.601 Kinder. Durch Granaten, Minen oder Scharfschützen wurden rund 50.000 Menschen verletzt, teilweise schwer. Auch im Krankenhaus war man vor Granaten nicht sicher.

Demick geht in ihrem Buch auch auf andere Aspekte der Belagerung ein, die man hier nicht alle aufführen kann. Vielleicht noch dieser: Für die Autorin ist es nicht plausibel, den Bosnienkrieg als „ethnischen Krieg“ zu bezeichnen, weil „alle Beteiligten dieselben ethnischen Wurzeln haben. … Man kann vom Aussehen her nicht sagen, wer Serbe, Kroate oder Muslim ist. … Der Unterschied zwischen den Menschen besteht hauptsächlich in der Religion, die sie ausüben“. Allerdings ist sie der Meinung, dass man die Konflikte zum „Religionskrieg“ erklären könnte, „denn die Jugoslawen waren nicht besonders religiös“.

Lauert im Hintergrund

Fazit: „Kein Wunder also, dass der Bosnienkrieg die Amerikaner vor ein Rätsel stellte. Den Bosniern ging es nicht anders.“

Ein Rätsel bleibt wohl auch, wie Menschen nach diesem Krieg weiterhin gemeinsam in derselben Stadt leben können. Sie versuchen es, weil Sarajevo ihre Heimat ist. Doch „die Frage, wer Serbe, wer Kroate und wer Muslim ist, lauert stets im Hintergrund“.

Bosnischer Eintopf

Allerdings fragt sich zum Beispiel Alma, wo in der Gesellschaft Sarajevos ihre Familie eingeordnet würde. „Ihr Vorname ist ein traditionell muslimischer Name, sie hat jedoch durch ihre Mutter einen kroatischen Pass und durch ihren Ehemann einen serbischen Nachnamen. Ihre Töchter sind ein echter bosnischer Eintopf“.

„Die Rosen von Sarajevo“ sind also nicht „nur“ ein schrecklich anschauliches Buch über das Leben im Krieg, sondern auch darüber, dass es nicht allein an den „normalen“ Menschen liegt, ob sie miteinander auskommen.

Von Werner Schuster

Mehr Infos:

Barbara Demick ist eine renommierte amerikanische Journalistin. Ab 1986 war sie für The Philadephia Inquirer tätig, u.a. ab 1997 als Korrespondentin im Nahen Osten. Ab 2001 war sie für die Los Angeles Times Korrespondentin in Seoul; derzeit ist sie Korrespondentin in Peking. Bei Droemer ist von ihr bereits das Buch „Die Kinogänger von Chongjing“ erschienen.

Mehr über die Jugoslawienkriege [5], den Bosnienkrieg [6] und die Belagerung von Sarajevo [7] bei Wikipedia.