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Wood, James: Die Kunst des Erzählens

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover Wood Die Kunst der Erzählens [5]


Inhalt:

Was unterscheidet einen guten Roman von einem schlechten? Kaum jemand könnte das besser erklären als James Wood, laut Newsweek „einer der besten Kritiker unserer Zeit“. (Pressetext)

Kurzkritik:

„Die Kunst des Erzählens“ will kein Ratgeber sein und ist es auch nicht: tatsächlich werden die „gewöhnlichen“ LeserInnen darin nicht mehr als ein paar Denkanstöße bekommen. Allerdings verspricht Kehlmann in seinem Vorwort mehr, als Wood überhaupt halten mag. Der wollte kein „Lehrbuch des Schreibens“ (Kehlmann) und somit auch nicht des Lesens verfassen, sondern „bloß“ „einige der wesentlichen Fragen zur Kunst des Erzählens stellen“. Und das macht er auch.

Besprechung:

Ich glaube ihm nicht

Daniel Kehlmann ist begeistert – ich war es nach den Versprechungen von Vorwort und Einleitung auch. Doch bald tat ich nur mehr so, als ob ich beeindruckt wäre (schließlich ist Wood so etwas wie Amerikas Literaturpapst), und schlussendlich hat mich „Die Kunst des Erzählens“ enttäuscht.

Das liegt nicht nur daran, dass Wood dünkelhaft auf alles herabsieht, was nicht hohe Literatur sein will oder kann, und dass er uns quasi mit Flaubert (1821–1880) erklärt, was das ist, hohe Literatur.

Hoch und „realistisch“

Das liegt auch nicht daran, dass Wood eigentlich ausschließlich „realistische“ hohe Literatur erläutert, auch wenn er zu keinem abschließenden Urteil kommt, was dieser Realismus denn sein könnte. Was in der Feststellung mündet, „alle Autoren halten sich für Realisten“. (Tun sie das?)

Denkanstöße für die „gewöhnlichen“ LeserInnen

„Die Kunst des Erzählens“ will kein Ratgeber sein und ist es auch nicht: tatsächlich werden die „gewöhnlichen“ LeserInnen darin nicht mehr als ein paar Denkanstöße bekommen. Allerdings verspricht Kehlmann in seinem Vorwort mehr, als Wood überhaupt halten mag. Der wollte kein „Lehrbuch des Schreibens“ (Kehlmann) und somit auch nicht des Lesens verfassen, sondern „bloß“ „einige der wesentlichen Fragen zur Kunst des Erzählens stellen“. Und das macht er auch.

Das Wesen der erlebten Rede

Gleich zu Beginn will er mit dem Vorurteil aufräumen, dass die „allwissende“ (auktoriale) Erzählung zuverlässiger sei als die Ich-Erzählung. Dann führt er ein in das Wesen der direkten oder zitierten Rede, der wiedergebenden oder indirekten und der erlebten Rede.

Die entscheidende Frage?

Wood liebt die erlebte Rede aufgrund des durch sie möglichen Perspektivenwechsels und fragt sich und uns durch sein Buch hinweg, wer da spricht: die AutorInnen oder die Figuren? (Ich bin mir nicht sicher, ob das die entscheidende Frage für „gewöhnliche“ LeserInnen ist.)

Er erklärt auch, was gute Literatur ist:

An guter Literatur bemerken wir kaum, dass sie das sprechende und brillante Detail favorisiert, einen hohen Grad an visueller Aufmerksamkeit bevorzugt, eine unsentimentale Haltung wahrt und sich, wie ein guter Kammerdiener, überflüssiger Kommentare zu enthalten weiß, dass sie Gut und Schlecht neutral beurteilt, die Wahrheit herausfindet, auch wenn uns diese abstoßen könnte, und dass bei alledem, paradoxerweise, die Fingerabdrücke des Autors nachweisbar, aber nicht sichtbar sind.

Vage Antworten

Ab dieser Feststellung (auf Seite 48 von 240), nimmt sich Wood zwar verschiedener Bestandteile der Kunst des Erzählens an (das Detail, Figuren, Sprache, Dialog etc.), gibt aber durchwegs vage Antworten.

Glaub mir einfach

Das fände ich im Prinzip angenehm (dass jemand nicht behauptet, alles zu wissen, sogar wenn er als der einflussreichste Literaturkritiker Amerikas gilt und in Havard unterrichtet), doch reicht Wood seine Fragen nicht an die LeserInnen seines Buches weiter, sondern behauptet sinngemäß: wenn jemand wie ich weiß, dass er nichts weiß, dann brauchst d u dich schon gar nicht zu bemühen. Glaub mir einfach.

Wem Woods wie widerspricht

Nun will ich Wood nicht nur nicht einfach glauben (und seine Aussagen sind selten durch mehr gestützt, als dass er den schon interpretierten Behauptungen anderer Kapazunder widerspricht), ich wollte auch das wissen, was mir der Umschlagtext versprochen hat, nämlich: worauf es sich (beim Lesen) zu achten lohnt.

Das Leben besser lesen

Sind dies wirklich Detailauswahl, Figurenzeichnung und Dialoge? Stimmt es, dass wir, so Wood, durch Literatur zu besseren Beobachtern werden, „wir wenden das Gelernte auf das Leben selbst an; dadurch werden wir umgekehrt detailgenauere Leser der Literatur; dies wiederum lässt uns das Leben besser lesen und immer so weiter“? Wollen wir das? Wollen wir das so?

Müssen wir uns jetzt genieren?

Wollen wir uns nicht einfach – auf welchem Niveau auch immer – unterhalten? Müssen wir uns jetzt genieren, weil wir vielleicht gar jenem „kommerziellen Realismus“ anhängen, wie ihn ein le Carré oder ein P. D. James praktizieren (und das sind für Wood schon die Besseren)? „Verschleiern“ deren Werke tatsächlich „das Leben“, während nur Flaubert, Henry James, Dostojewksi, Tschechow, Katherine Mansfield, Virginia Woolf, Nabokov, Naipaul und dergleichen mehr es erhellen?

The Hunter Gets Captured by the Game

Also ich bin etwa (ohne stolz darauf zu sein) an Woolfs „Die Wellen“ gescheitert – die ausschließlich inneren Monologe haben mir persönlich auf Dauer zu wenig „vom Leben“ vermittelt.

Fürs Leben gelernt

Während ich etwa von vom Finale der so genannten Smiley-Trilogie von le Carré fürs Leben gelernt habe, dass einen Feind zu besiegen einer Niederlage gleichkommt (weil man ihm ähnlich werden muss). Und ich habe auch kaum wo erschütternder erfahren, was es heißt, mit einem falschen Ich zu leben, als in „Die Libelle“.

Wieso schreibt der so verdammt gut?

Es kann aber durchaus sein, dass mir „Die Kunst des Erzählens“ dabei hilft herauszufinden, wie le Carré es anstellt, so verdammt gut zu schreiben, wenn ich besagte „Libelle“ ein drittes Mal lesen werde. Das wäre nur leider nicht im Sinne von James Wood.

Von Werner Schuster
Infos:

Das meinen andere [6] (Perlentaucher-Rezensionsnotizen).

James Wood, 1965 geboren, wurde bereits mit 27 Jahren Chefkritiker beim Londoner Guardian. Heute schreibt er für den «New Yorker» und arbeitet als Professor für angewandte Literaturkritik an der Harvard University.

Mehr über James Wood [7] bei Wikipedia.