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Miller, Daniel: Der Trost der Dinge

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover


Inhalt:

Über die moderne Welt sind viele diagnostische Mythen im Umlauf: Sie sei homogenisiert, individualisiert, und die isolierten Individuen gäben sich hemmungslos dem Konsum hin. Der englische Anthropologe Daniel Miller hat diese Mythen hinterfragt – genauer: Er hat die Bewohner einer Londoner Straße befragt. Und da die Menschen nun einmal nicht gerne über ihr Leben Auskunft geben, hat er mit ihnen über die Dinge in ihren Wohnungen gesprochen: über Simons 15000 Schallplatten, die für ihn alle emotionalen Schattierungen zum Ausdruck bringen; über den Laptop, auf dem Malcolm Unmengen von Briefen und Fotos speichert, um die Erinnerungskultur seiner Aborigines-Vorfahren aufrechtzuerhalten; über die billigen Spielfiguren aus dem Fast-food-Restaurant, mit denen Marina ihren Kindern ihre Liebe zeigt. (Pressetext)

Kurzkritik:

Das nun unter dem Namen „Der Trost der Dinge“ herausgekommene Buch beinhaltet 15 ausgewählte Interviews. „Unsere einzige Ausgangshypothese lautete, dass wir nicht wussten, was uns erwarten würde. … Sie erwies sich als vollkommen richtig. Wir ahnten nicht, dass wir eines Morgens einem Mann begegnen würden, der für den Tod Dutzender Unschuldiger verantwortlich war. Dass wir das bezauberndste Weihnachtsfest seit ,Fanny und Alexander‘ erleben würden. Oder dass wir jemanden treffen würden, der mit Hilfe seiner CD-Sammlung vom Heroin losgekommen war.“

Es ist ein faszinierendes Buch über die moderne Gesellschaft, besser gesagt: über die Individuen, die in ihr leben.

Besprechung:

Talking Things

Ich hätte ja gerne, dass der Anthropologe Daniel Miller mit seiner Kollegin Fiona Parrott entweder bei mir im Büro oder bei mir zu Hause (oder lieber noch an beiden Orten) vorbeischaut und überprüft, ob meine Dinge meine Selbstdarstellung nicht Lügen strafen. Denn wenn ich das richtig verstanden habe, war das die Methode seiner anthropologischen Studie. {Und ich hätte endlich wieder einmal über Bücher reden können – aber wohl auch über notorische Unaufgeräumtheit (– vielleicht bedingt das einander ja, wer weiß?).}

Wandgemälde befragen

Jedenfalls haben sich Miller und Parrott eine Straße in London „mit einem breiten Spektrum unterschiedlicher Haushalte“ ausgesucht und versucht, mit allen BewohnerInnen ins Gespräch zu kommen (– in nahezu allen Fällen ist ihnen das auch gelungen). Innerhalb von 17 Monaten haben sie nicht nur diese befragt, „sondern auch die Häuser und Wohnungen selbst. Wir befragten die Wandgemälde, die Kleidung, …, den Stuhl und das Sofa, …, das Badezimmer, …, die Photographien von Bekannten und Verwandten …, den Nippes …“. Die Ansichten und Erfahrungen der BewohnerInnen spiegelten sich, so Miller, „in der Einrichtung der Zimmer wider, im Wandschmuck und den Teppichen“ usw.

Nicht wissen, was eine/n erwartet

Das nun unter dem Namen „Der Trost der Dinge“ herausgekommene Buch beinhaltet nicht die Studie, sondern 15 ausgewählte Interviews (– die auch nicht in wissenschaftlichem Stil verfasst sind). „Unsere einzige Ausgangshypothese lautete, dass wir nicht wussten, was uns erwarten würde. … Sie erwies sich als vollkommen richtig. Wir ahnten nicht, dass wir eines Morgens einem Mann begegnen würden, der für den Tod Dutzender Unschuldiger verantwortlich war. Dass wir das bezauberndste Weihnachtsfest seit ,Fanny und Alexander‘ erleben würden. Oder dass wir jemanden treffen würden, der mit Hilfe seiner CD-Sammlung vom Heroin losgekommen war.“

Sich wiederfinden

Wer den wissenschaftlichen Background braucht, für den oder die gibt es ein Nachwort mit folgenden Schlussfolgerungen: „Erstens: Die Effizienz des modernen Staates und wachsender Wohlstand ermöglichen uns die Schöpfung autonomer Ordnungssysteme. … Zweitens: Die Alternative zur Gesellschaft ist nicht das fragmentarisierte Individuum, sondern es sind Menschen, die in Beziehung zu Dingen und anderen Menschen stehen.“

Und für alle gibt es Menschen kennenzulernen, in denen man sich gewiss zum Teil wiederfindet. Zumindest in ihren Dingen. Und die erzählen ja auch allerhand, wie wir jetzt wissen. Meine Bücher zum Beispiel sagen: „Lies mich! Ordne mich!“ Und ersteres tue ich – wie etwa im Fall von „Der Trost der Dinge“ – mit großem Vergnügen.

Von Werner Schuster
Infos:

Daniel Miller (geboren 1954) hat in den letzten Jahren eine Reihe vielbeachteter Studien zum globalen Konsumverhalten vorgelegt. Er lehrt Ethnologie am University College in London.