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Dagerman, Stig: Schwedische Hochzeitsnacht

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
Erschienen 2010 beim Eichborn Verlag
Aus dem Schwedischen von Herbert G. Hegedo
Originalausgabe: „Bröllopsbesvär“, 1949
Inhalt:

Schonungslos schildert Stig Dagerman die Hochzeit des Schlachtermeisters Westlund mit Hildur Palm. Statt ländlicher Idylle offenbart Dagermans sezierender Blick ein grausames Geflecht boshafter Charaktere, die einander in Hass, Habsucht, Neid und sexueller Gier verbunden sind. In der Vorbereitung zum Fest begegnet die Dorfgemeinde sich selbst – und ertränkt das Entsetzen in einer grotesk geschilderten Nacht voll Gewalt und Alkohol. (Pressetext)

Kurzkritik:

Wer bereit ist, sich auf die mäandernden Perspektiven einzulassen, die klaren Naturbeschreibungen und die rauen, eigenwilligen Charaktere auf sich wirken zu lassen, der wird bei Dagerman einen ganz eigenen, splitterhaften Realismus finden. Bei dem übrigens die Hochzeitsnacht, so viel sei verraten, ebenso wie die Hochzeit zur Nebensache wird.

Besprechung:

Nachbarn werden mit Äxten bedroht

Bevor ich diesen Roman aufschlug, hatte ich noch nie etwas von Stig Dagerman gehört. Doch der Klappentext deutete eine Herausforderung an: Von einem „jungen, in die Irre geführten Genie“ ist da die Rede, von einem „sezierenden Blick“ auf eine „Nacht voll Gewalt und Alkohol“. In der Einleitung von Per Olov Enquist erfuhr ich dann, dass Dagerman den 1949 erschienen Roman mit nur 25 Jahren geschrieben hatte.

Der junge Autor hatte mit seinen eigenwilligen Texten, in denen er seine Kindheit und seine Erlebnisse im Nachkriegsdeutschland verarbeitete, in Schweden großen Erfolg und beging mit 31 Jahren infolge einer persönlichen Krise schließlich Selbstmord.

Poetisch-surreale Innensichten

Weder der Klappentext noch die Einleitung bereitete mich jedoch auf den ersten Satz vor: „Immer langsam – so schuf Gott die Schnecke.“ Nach mehreren Absätzen begann ich zu begreifen, dass hier ein Mann erzählt, der abgeschieden im Obergeschoß eines Bauernhauses lebt und doch beobachtet, was unter und um ihn vorgeht.

Die Perspektive wechselte dann auf andere Personen, seine Frau, seine Töchter Hildur und Irma, den Sohn Rudolf. In einer Vermischung aus äußeren Beschreibungen und Gedanken präsentiert Dagerman die Bauernfamilie mit den drei erwachsenen Kindern. Hildur steht ein besonderer Tag bevor: Sie soll heute heiraten.

Hochzeit ist Nebensache

Hildur hat zugesagt, den wesentlich älteren Schlachtermeister Westlund zu heiraten, der seinen eigenen verworrenen Gedanken von einem Großschlachtbetrieb nachhängt. Hildur liebt ihn nicht, aber sie braucht einen Vater für das Kind, mit dem sie schwanger ist.

Die Hochzeitsvorbereitungen ziehen sich über den Tag hin, vielleicht wird der Vater für Hildurs Hochzeit doch noch das Haus verlassen, der Bruder soll Birken zur Dekoration fällen und betrinkt sich stattdessen. Landstreicher schleichen in der Scheune umher, tote Fische treiben im Fluss, Nachbarn werden mit Äxten bedroht.

Wer bereit ist, sich auf die mäandernden Perspektiven einzulassen, die klaren Naturbeschreibungen und die rauen, eigenwilligen Charaktere auf sich wirken zu lassen, der wird bei Dagerman einen ganz eigenen, splitterhaften Realismus finden. Bei dem übrigens die Hochzeitsnacht, so viel sei verraten, ebenso wie die Hochzeit zur Nebensache wird.

Von Sabine Schönfellner
Infos:

Eine Leseprobe [5] bei Eichborn.

Über Stig Dagerman [6] bei Wikipedia.