- Literaturmagazin Eselsohren –  - http://www.eselsohren.at -

Balzac, Honoré de: Vater Goriot

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcober Vater Goriot von Balzac
Roman
Aus dem Französischen von Gisela Etzel
Taschenbuch: Fischer, 2008
(„Le Pére Goriot“, 1834)
Inhalt:

Vater Goriot, durch Spekulationen ordentlich zu Geld gekommen, hat ein zerstörerisches Laster: Er liebt seine verzogenen Töchter mit einer Hingabe, die an Selbstverleugnung grenzt. Ein fehlgeleiteter „Christ des Vaterseins“, der, buchstäblich ausgenommen bis aufs letzte Hemd, allein in seiner Dachkammer stirbt. Balzac weiß: Unsere Leidenschaften sind der Motor unseres Lebens – und unser Verderben. (Pressetext)

Kurzkritik:

Was wäre, wenn ein Unbekannter einen ähnlich gebauten Roman heute einem Verlag schicken würde? Das Lektorat würde ohne Zweifel die manifeste Begabung des Neulings feststellen, aber wahrscheinlich bemängeln, dass der Roman formal auseinander fällt.

Besprechung:

Soap mit Adeligen

Ich wäre ja nicht ganz bei Trost, würde ich Balzac nicht als großartigen Schriftsteller gelten lassen, doch beim Lesen von „Vater Goriot“ hatte ich folgenden Gedanken: Was wäre, wenn ein Unbekannter einen ähnlich gebauten Roman heute einem Verlag schicken würde? Das Lektorat würde ohne Zweifel die manifeste Begabung des Neulings feststellen, aber wahrscheinlich bemängeln, dass der Roman formal auseinander fällt.

„Ein Drittel des Romans ist der breiten Exposition mit genrehaften Milieuschilderungen und Porträts – vorbehalten,“ steht in Kindlers Literatur Lexikon. Anders gesagt: Die Einleitung ist fantastisch, aber auch zu lang (oder das Buch ist zu kurz geraten). Erst dann beginnt die dramatische Entwicklung und das „von melodramatischen Akzenten nicht immer freie tragische Ende“ (Kindler). Das ist schöner gesagt, als es erträglich ist.

Unser fiktives Lektorat würde das Manuskript gewiss annehmen – vorbehaltlich einiger Änderungen.

Löwenhafte Schreibpranke

Andererseits reden wir hier von einem Genie, und es ist völlig egal, wenn nicht alles stimmig ist, – es stimmt trotzdem, weil es von einer, mit Verlaub, löwenhaften Schreibpranke zusammen gehalten wird. Gott, kann der schreiben! Ist es nicht gleichgültig, worüber und wie?

Nein, natürlich ist es einem nicht egal, dass der frühere Nudelfabrikant Goriot ganz und gar für seine Töchter lebt und ausgenutzt wird, bis er völlig verarmt stirbt. Dass diese Töchter so abgrundtief böse vielleicht gar nicht sind, sondern vor lauter gesellschaftlichem Aufstieg in die pointiert geschilderte Welt des in der Regel dekadenten Adels nicht mehr auf ihr Herz hören. Dass der gute, idealistische Student Eugène – verführt vom irgendwie sympathischen Kriminellen Vautrin – zum Zyniker wird.

Aber am Schluss hat unser Genie schon sehr dick aufgetragen. Was mich an Philippe Djians Versuch, eine Soap-Opera in Romanform zu schreiben, („Doggy Bag“), erinnert hat. Doch davon an anderer Stelle [5].

Von Werner Schuster
Infos:

Honoré de Balzac, geboren am 20. Mai 1799 in Tours, studierte von 1816 bis 1819 in Paris Jura, brach sein Studium aber ab, um Schriftsteller zu werden. 1825 beteiligte er sich als Verleger und Druckereiunternehmer an Spekulationen, die 1827 zum Bankrott führten. Um seine Schulden abzutragen, steigerte er seine literarische Produktion. Seine Kandidaturen für das Parlament und die Aufnahme in die Académie française blieben erfolglos. Balzac, der als einer der wichtigsten Autoren des Realismus gilt, starb am 18. August 1850 in Paris.

Über Honoré de Balzac [6] bei Wikipedia.