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Capus, Alex: Himmelsstürmer

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
Zwölf Porträts
Hardcover: Knaus, 2008
Taschenbuch: btb, 2010
Inhalt:

Auf den Spuren von zwölf ungewöhnlichen Menschen, die unbeirrbar ihren Träumen folgten. Capus’ Helden sind uneheliche Kinder gefallener Dienstmädchen, leiden an bösen Stiefmüttern, fixen Ideen und körperlichen Gebrechen, sie müssen Hungersnöte, Kriege und Revolutionen überstehen. Trotzdem – oder gerade deshalb – ziehen sie aus, die Welt zu erobern. Das Berner Dienstmädchen Marie Grosholtz erlangt als Madame Tussaud Weltruhm. Der Neuenburger Jean-Paul Marat zettelt mit Danton und Robespierre die Französische Revolution an. Der Aarauer Uhrmachersohn Ferdinand Hassler vergrößert die USA auf Kosten Kanadas. (Pressetext)

Kurzkritik:

Neben dem großen Lese-Vergnügen, das Capus mit diesen Porträts bereitet, erinnert er auch an viele, welche die Menschheit ein Stückchen weitergebracht haben und über ihren prominenten KollegInnen in Vergessenheit geraten sind. – Vielleicht sitzt ein/e Nachbar/in gerade über etwas Bahnbrechendem und wird es trotzdem in kein Lexikon schaffen?

Besprechung:

Kleine Leute, ganz groß

Dies ist das ideale Buch fürs Nachtkästchen – und das meine ich ganz und gar positiv. Alex Capus’ Porträts von zwölf Schweizer AbenteurerInnen sollte man einzeln lesen, denn sie sind zu schade dafür, dass man sie auf einmal „verschlingt“. Er beschreibt „kleine Leute aus einem kleinen Land, die in der großen Welt ihr Glück suchten“, wie etwa – um die bekanntesten zu nennen – Madame Tussaud oder Jean-Paul Marat. (Aber weiß man, dass diese beiden in der Schweiz geboren worden sind?)

Capus hat für diese Porträts intensiv recherchiert und er stellt nur dort Behauptungen auf, wenn sich diese auch untermauern lassen. Wenn er ausschmückt (oder Unbestätigtes wiedergibt), fügt er „so könnte es gewesen sein“ hinzu. Das ist mir viel lieber als die Attitüde der meisten seiner KollegInnen (v.a. im Fachbereich „Anekdoten und Histörchen“), die schreiben, als wären sie immer und überall dabei gewesen, und wenn nicht, dann wüssten sie zumindest über alles und jede/n Bescheid.

Wertvoller falscher Arzt

Capus speist eine/n also nicht mit Halbwissen ab und schreibt in launig-nüchternem Tonfall über
– Regula Engel, die ihren Mann auf Napoleons Feldzügen begleitete,
– Ferdinand Hassler, für dessen Landvermessungen die Schweiz und später Amerika kein Geld hatten und der dann doch das Territorium der USA auf Kosten Kanadas um mehrere hundert Quadratkilometer vergrößerte und mit der Vermessung der Ostküste zumindest begonnen hat,
– Hans Jakob Meyer, der als falscher Arzt im griechisch-türkischen Krieg wertvolle Dienste leistete,
– Maria Manning, die mit zwei Männern zusammen lebte und den reicheren gemeinsam mit dem anderen umbrachte,
– den Afrikaforscher (und Begleiter von Werner Munzinger) Adolf Haggenmacher,
– den als Ballonfahrer bis zum Ersten Weltkrieg reich gewordenen Eduard Spelterini,
– die in der arabischen Welt als Mann verkleidet lebende, freiheitsliebende und sexuell freizügige Isabella Eberhardt,
– Pierre Gilliard, den Privatlehrer der Kinder des letzten Zaren, und
– den genialen (Astro-)Physiker Fritz Zwicky.

Vielleicht die Nachbarn?

Neben dem großen Lese-Vergnügen, das Capus mit diesen Porträts bereitet, erinnert er auch an viele, welche die Menschheit ein Stückchen weitergebracht haben und über ihren prominenten KollegInnen in Vergessenheit geraten sind. – Vielleicht sitzt ein/e Nachbar/in gerade über etwas Bahnbrechendem und wird es trotzdem in kein Lexikon schaffen, während man nach der erbaulichen Lektüre etwa über Samuel Johann Pauli – der zwischen 1766 und 1821 neben selbstschmierenden Radnaben und einem Hinterladergewehr ein von Menschenhand lenkbares Flugzeug konstruiert hat – erbaut entschlummert.

Von Werner Schuster
Infos:

Alex Capus, geboren 1961 in Frankreich, studierte Geschichte, Philosophie und Ethnologie in Basel und arbeitete während und nach seinem Studium als Journalist und Redakteur bei verschiedenen Tageszeitungen und bei der Schweizer Depeschenagentur. 1994 veröffentlichte Alex Capus seinen ersten Erzählband (“Diese verfluchte Schwerkraft”), dem seitdem neun weitere Bücher mit Kurzgeschichten, historischen Reportagen und Romane folgten. Capus verbindet sorgfältig recherchierte Fakten mit fiktiven Erzählebenen, in denen er die persönlichen Schicksale seiner Protagonisten einfühlsam beschreibt. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt; für seine schriftstellerische Arbeit erhielt er zahlreiche Preise. Daneben hat Capus auch als kongenialer Übersetzer von Romanen des US-amerikanischen Autors John Fante gewirkt. Alex Capus lebt als freier Schriftsteller mit seiner Familie in Olten/Schweiz.

Interview mit Alex Capus [5] im HVB-Anzeiger (2011).

Mehr über Alex Capus [6] bei Wikipedia.