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Johnson, Uwe: Jahrestage

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Romane
Hardcover und Taschenbuch: Suhrkamp
(1970–1983)
Inhalt:

Der »Genosse Schriftsteller« erzählt, beginnend mit dem 20. August 1967, in tagtäglichen Eintragungen bis zum 20. August 1968 das Leben von Gesine Cresspahl und ihrer zehn Jahre alten Tochter Marie. Beide leben nun in New York. Von dem Leben in dieser amerikanischen Großstadt berichten die Jahrestage, und zugleich erzählt Gesine ihrer Tochter, »für wenn ich tot bin«, die Geschichte der Familie Cresspahl, so wie diese lebte im Mecklenburg der dreißiger Jahre, während der Herrschaft der Nationalsozialisten, in der sich anschließenden sowjetischen Besatzungszone und den ersten Jahren der DDR. (Pressetext)

Kurzkritik:

Aus einer abstrakten Idee ist ein wahrlich welthaltiger Roman geworden, aus dem man alles Mögliche herauslesen kann (deutsche Geschichte, Gesellschaftskritik, Conditio humana) und der dennoch unerschöpflich bleibt.

Besprechung:

Conditio humana

“Lange Wellen treiben schräg gegen den Strand, wölben Buckel mit Muskelsträngen, heben zitternde Kämme, die im grünsten Stand kippen.” Zwei Eisenbahnstunden südlich von News York macht die besonnene Gesine Cresspahl Urlaub mit ihrer naseweisen Tochter Marie. Gleich auf der ersten Seite wird ein Hauptthema des vierbändigen Romans “Jahrestage” angeschlagen: “… aber Neger sollen hier nicht Häuser kaufen oder Wohnungen mieten oder liegen in dem weißen grobkörnigen Sand. Auch Juden sind hier nicht erwünscht.” – “An die Gemeindeverwaltung von Rande bei Jerichow. Als ehemalige Bürgerin von Jerichow, und als ehemals regelmäßige Besucherin von Rande, bitte ich Sie höflichst um Auskunft, wie viele Sommergäste jüdischen Glaubens vor dem Jahr 1933 in Rande gezählt wurden. Mit Dank für ihre Mühe.”

In der Folge wird Uwe Johnson dieses Jerichow vor uns ausbreiten, eine fiktive DDR-Stadt, deren BewohnerInnen sich zuerst mit dem totalitären Nationalsozialismus und gleich darauf mit dem totalitären Kommunismus arrangierten – oder auch nicht. Was macht Politik aus und mit Menschen, ist für mich eines der zentralen Themen dieser gleichermaßen ironischen wie poetischen und sprachlich eigenwilligen Bücher.

New York – DDR

Ausgangspunkt für diese “Mutmassungen über die Vergangenheit” ist das New York in der Zeit von August 1967 bis August 1968, wie Gesine es, gemeinsam mit ihrer Tochter, erlebt. “21. August, 1967, Montag: Aufklärendes Wetter in Nordvietnam erlaubte der Luftwaffe Angriffe nördlich von Hanoi. (…) Die Unruhen in New Haven gingen gestern weiter mit Bränden, eingeschlagenen Schaufenstern, Plünderungen; weitere 112 Personen sind festgenommen worden.” Täglich liest die Bankangestellte die “New York Times”, täglich zitiert Johnson – quasi als Kapitel-Unterteilungen – ein paar aktuelle Meldungen daraus und verflechtet dies mit eben jener Vergangenheit der aus der DDR geflohenen Gesine.

Aus dieser abstrakten Idee ist ein wahrlich welthaltiger Roman geworden, aus dem man alles Mögliche herauslesen kann (deutsche Geschichte, Gesellschaftskritik, Conditio humana) und der dennoch unerschöpflich bleibt.

Von Werner Schuster
Infos:

Über Uwe Johnson [5] bei Wikipedia.