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Albig, Jörg-Uwe: Velo

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Cover Albig VeloRoman
Volk&Welt, 1999
Inhalt:

Im neuen Berlin jagen Enzberg und Lolli Großstadtfantasien hinterher, wie sie in Medien, Politik und Kultur allgegenwärtig sind. Durch Zufall treffen sich die beiden im Krankenhaus und schließen einen Liebespakt, der ihnen ihre Sehnsüchte garantiert. Doch allmählich zerstört die Wirklichkeit die Geschäftsgrundlagen, auf denen ihre Übereinkunft beruht. Beide ahnen ihre Irrtümer erst, als ihnen nur noch die Flucht nach vorn bleibt. (Pressetext)

Kurzkritik:

Bei manchen ersten Romanen wirkt die Unerfahrenheit der Autoren sympathisch, bei manchen stimmt sie ärgerlich. Jörg-Uwe Albigs „Velo“ gehört zur zweiten Kategorie.

Besprechung:

Die Einsamkeit des Fahrradboten

Bei manchen ersten Romanen wirkt die Unerfahrenheit der Autoren sympathisch, bei manchen stimmt sie ärgerlich. Jörg-Uwe Albigs „Velo“ gehört zur zweiten Kategorie. Über fünfzig Seiten lang – ein Drittel des Buches – werden die Protagonisten Enzberg und Lolli vorgestellt. Man erfährt in einer allzu phantasievollen Sprache, daß sich der Fahrradbote Enzberg mit seinem Gefährt identifiziert und daß Lolli Krankenschwester ist. Enzberg fühlt sich als Großstadtguerilla, Lolli liebt ihre Pflanze Dieffenbachia: Diese „Pflanze war für Lolli ein Zeichen. Es bedeutete: Enzberg.“

Das geht so dahin, ohne daß man von Handlung im herkömmlichen Sinn sprechen könnte, besticht weder durch wirklich stimmige Bilder noch durch Sprachgewalt, und bald interessiert es einen nicht mehr, worauf die ausführlichen Schilderungen des Immer-Gleichen hinauslaufen sollen.

Dieffenbachia

Dann aber setzt mit einem Mal die Handlung ein: Enzberg begegnet einem gewissen Bill, der irgendwie in der Kommunikationsbranche tätig ist, als personifiziertes Handy dargestellt wird und Enzberg aus seiner Selbstgenügsamkeit reißt. Lolli wiederum trifft dem Kleinkünstler Schratt und läßt ihn sozusagen mit ihr schlafen. Enzberg reagiert eifersüchtig, lenkt seine Aggressionen jedoch zuerst auf einen säumigen Schuldner von Bill und verdingt sich dann als Söldner am Bosnienkrieg. Als er getötet wird, wendet sich Lolli Bill zu, betrügt ihn gewissermaßen und läuft vor ihm schließlich davon – mit ihrer Dieffenbachia, die ja für Enzberg steht.

Inhomohen

Eine Liebesgeschichte also? Schwer zu sagen: Vielleicht eine Liebesgeschichte ohne Liebe, eine Geschichte über das Nebeneinander zweier in sich gekehrter Eigenbrötler, von denen einer entdeckt, daß er doch zu so etwas wie Gefühlen fähig ist, was allerdings zu seinem Untergang führt. Auf jeden Fall eine formal inhomohene Geschichte, deren überlange Einleitung keinen Sinn macht. Daß Albig seine vielen Zitate (u.a. von Enzensberger, Grönemeyer, Hemmingway und Red Bull) als Samplings bezeichnet (und damit auf die in den Kompositionen der Jugendkultur gängige Praxis des Zitierens und Benützens von Themen anderer Musiker verweist), macht aus „Velo“ noch keinen Roman am Puls der Zeit.

„Seine Poren waren Ventile“

Die kalte Großstadt beschreibt Albig meist mittels Vergleichen aus der Pflanzenwelt. Wir verstehen: Großstadtdschungel. Doch daß Enzberg als Krieger geschildert wird, hat zwar seine Folgerichtigkeit, wird aber nicht begründet. Man erfährt weder, wogegen er eigentlich kämpft, noch, wovor er sich manisch schützt: Seine „Poren waren Ventile. Was einmal drinnen war, ließ er nicht mehr gehen; nicht einmal sich selbst.“

Dumpfe Weiblichkeit?

Wen oder was Lolli verkörpern soll, wird auch nicht so recht klar: Sie wirkt wie ein unbewußtes, antriebsloses Wesen, beinahe wie eine Pflanze. – Nicht genug also damit, daß sich in „Velo“ sprachliche Übertreibung als Selbstzweck zu unausgegorener Kompositionstechnik gesellt: Sollte hinter dieser seltsamen Geschichte nichts weiter als das Bild vom Krieger stehen, den die ach so dumpfe Weiblichkeit in Form einer Krankenschwester von seinem einsamen Weg abbringt?

Werner Schuster, © Presse, Spectrum (1999)
Infos:

Jörg-Uwe Albig, 1960 in Bremen geboren, studierte Kunst und Musik in Kassel, war Altenpfleger und Redakteur in Hamburg und lebte zwei Jahre lang als Korrespondent einer deutschen Kunstzeitschrift in Paris. Seit 1993 arbeitet er als freier Autor und Journalist in Berlin.

Über Jörg-Uwe Albig [5] bei Wikipedia.